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-b^> FRITZ BOEHLE <^-^
spielt; das still fröhliche Behagen am Handwerkszeug
und Hausgerät der Bauern, an
Pflug und Pferdegeschirr, an Krahnen und
Booten, Segeln und Masten. Er gestaltet mit
dem wachen Blick des Künstlers all das Einzelne
und schließt es wieder zum Ganzen
zusammen, wo wir naturentfremdeten Stadtmenschen
nur dumpf den Eindruck des Ganzen
wie des Symbols eines unwiederbringlich verlorenen
Zustandes, mit sentimentalisch-rück-
schauendem Gefühl in uns aufnehmen. — Seine
Andacht zum Kleinen, seine Freude an all jenen
handwerklichen Einzelheiten mußte den Radierer
Boehle aus der im wesentlichen malerisch
empfundenen und wirkenden Art seiner frühesten
Münchener Blätter immer mehr zu einer
rein zeichnerischen, mit klaren strengen Linien
arbeitenden Methode führen. Aber wie reich
hat er diese Methode durchgebildet, welch
verschiedene Möglichkeiten der Wirkung ihr
zu entlocken gelernt! Da haben wir z. B.
bei dem „Bauernfuhrwerk an der Schenke"
(Abb. S. 382) eine breite, derbe Art des
Strichs, in dem holzschnittmäßigen, saftigen
Effekt, wie in der ganzen Art des Vortrags
an ältere Meister (etwa Klein oder Erhard)
erinnernd, und daneben in den aus dem gleichen
Jahr(1897) stammenden „Mainschiffern" (Abb.
S. 383) trotz der rein linearen Durchführung,
trotz der stählernen Schärfe der Details, einen
malerischen Gesamteindruck, bei dem Heilbut
mit Recht an die frühen, realistisch detaillierten
, noch an Meryon anknüpfenden Radierungen
Whistlers erinnert.
Immer aber erscheint es undenkbar, daß der
Schöpfer dieser graphischen Blätter als Maler
von der Farbe ausgehe. Und wenden wir uns
von diesem Gesichtspunkt aus noch einmal
seinen Gemälden zu, so erkennen wir recht
deutlich, wie ihm die Farbe nicht eigentlich
an sich wichtig und teuer ist, sondern ein
Mittel, die Sichtbarkeit und Plastizität der
Formen zu unterstützen und zu erhöhen. So
begreift man, daß er auf seinen mehr realistischen
Darstellungen die Farbenskala öfters
fast bis zur Monochromie beschränkt, daß er
andrerseits in seinen mythologischen und religiösen
Bildern gern ein paar schwere, tiefe,
stark kontrastierende Farben zu einem energischen
Akkord vereinigt. Bilder wie die
„Kreuzigung" (Abb. S. 380), wo dieser Akkord
gleichsam den dröhnenden Klang der Orgel
annimmt, stehen in dem Sinn der Farbenanwendung
dem polychromen Relief, in der koloristischen
Wirkung alten, mit ungebrochenen,
Farben arbeitenden Glasmalereien nahe; die
strenge Feierlichkeit des Kolorits und der figürlichen
Komposition ist hier eben noch stark
genug, um wenigstens zum Teil für das Fehlen
des inneren Ausdrucks, des seelischen Pathos
uns zu entschädigen. Finden wir die gleiche
Art schwerer feierlicher Farbigkeit auf andere
Stoffe angewandt, wie z. B. zwei einen Baum
pflanzende Bauern (Abb. S. 384), deren Gestalten
in gelblichem Ton von einem fast
schwarzblauen Himmel sich reliefmäßig abheben
, so haben wir leicht den Eindruck, als
seien hier an unrechter Stelle Mittel aufgeboten
, deren Boehle nicht bedarf, um auch dem
schlichtesten Gegenstand Größe, Adel und
symbolische Bedeutung zu geben.
Sollte ich aber zum Schluß ein größeres
Werk nennen, in dem die zwei Seelen in
Boehles Brust zu schönem, reinem Zusammenklang
sich geeinigt haben oder in dem,
anders ausgedrückt, sein schlichter starker
Natursinn durch die Umwege und Rückblicke
in fremden Kunstgebieten nicht mehr gehemmt
und sich selbst entfremdet, sondern wahrhaft
bereichert und gehoben erscheint, dann würde
ich — noch vor der „Madonna mit Betern"
(Abb. S. 362) oder den „Lebensaltern" (Abb.
S. 367) — das lebensgroße Bild des heiligen
Georg (Abb. s. nebenan) nennen. Hier ist in der
gewappneten Jünglingsgestalt und dem kräftigen
Streitroß jene höchste organische Vollendung
der plastischen Form gefunden, die vielleicht
der eigentliche Magnetpol ist, der die
Bussolen nordischer Kunst immer nach Süden
lenkt. Aber der Reiter und sein Roß sind
nicht durch ein fremdes Kunstmedium geschaute
, sondern durch die eigene Empfindung
gesteigerte und erhöhte Natur; die Farbe,
ohne üppig zu sein, atmet gesunde Fülle des
Lebens, und der Zusammenklang der großen,
fröhlichen Landschaft mit den Figuren ist ganz
aus deutschem Naturgefühl erwachsen.
Möge dem Frankfurter Künstler dieser Rittersmann
der Schutzheilige seiner Kunst
bleiben!
Anmerkung der Redaktion: Für die Reproduktion
der Original-Radierungen von Fritz Boehle
hat uns die Kunsthandlung J. P. Schneider jr. in
Frankfurt a. M. ihre Kollektionen zur Verfügung
gestellt; ihr ist vom Künstler die Alleinauslieferung
der Original-Radierungen übertragen worden.
GEDANKEN ÜBER KUNST
Man muß betrachten, daß der Gegenstand allein
nie wirkt, sondern immer die Situation. Denn der
einfachste Gegenstand (Stilleben) ist in irgend welchem
Verhältnis zur Umgebung. In diesem Verhältnis ist
immer ein Bruchstück der ganzen Welt. Das Stück
Licht, welches an einem Gegenstand haftet, wirkt
nach den ewigen Gesetzen, die es im Weltall leiten.
Und diese Beziehung zum Ganzen drückt unwillkürlich
dem einzelnen eine Bedeutung auf, und der
Beschauer, sie ahnend und erkennend, fühlt sich von
ihm stimmungsvoll berührt. w. steinhausen
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