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DIE FÜNFZEHNTE AUSSTELLUNG DER BERLINER SECESSION
MAX LIEBERMANN JUDENGASSE IN AMSTERDAM
Ausstellung der Berliner Secession
vorgebracht hat. — Leibis Ruhm brauchen wir nicht mehr zu verkünden
: besser als wir es vermöchten, loben die Werke ihren
Meister. Auch liegt es uns fern, seine Kunst als die allein seligmachende
hinstellen zu wollen. Noch weniger sollen wir versuchen,
ihn nachzuahmen, was uns ja doch nur in seinen Aeußerlichkeiten
gelingen könnte. — Man täte unserem Meister bitteres Unrecht —
wie das bisweilen immer noch geschieht —, wenn man ihn nur
als eminent geschickten Maler hinstellte: Leibi war nicht nur ein
Meistermaler, der sein Metier verstand wie keiner seit den Zeiten
van Eycks und Holbeins, er war auch ein eminenter Künstler. —
Man hat Leibi Mangel an Phantasie vorgeworfen, und freilich,
statt Götter und Helden hat er nur einfache Menschen gemalt.
Aber gerade in dieser Einfachheit der Naturauffassung, in diesem
gänzlichen Verzicht auf die Anekdote, in diesem Sichversenken in
die Natur zeigt sich die Tiefe seiner malerischen Phantasie um so
schöner. Wie er die Wange einer jungen Bäuerin malt oder das
durchfurchte Gesicht eines Jägers, die schwielige Hand eines
Bauern oder den zarten Teint einer Dame: dazu ist höchste malerische
Phantasie erforderlich. — Immer noch existiert die irrige
Meinung, als ob intime Naturnachahmung einen Mangel an Erfindung
bedeute, und noch gilt bei vielen, was Lessing im „Lao-
koon" schreibt: „Der Maler, der nach der Beschreibung eines
Thompson eine schöne Landschaft darstellt, hat mehr getan, als
der sie gerade von der Natur kopiert." — Für uns, die wir den
Inhalt in der bildenden Kunst nur insoweit gelten lassen, als er
geeignet ist, die Qualitäten des Künstlers zu zeigen, kann die Erfindung
nur in der Ausführung beruhen. Alle Malerei basiert auf
Nachahmung der Natur, der sie ihre Stoffe entlehnt; also nur in
der Art, wie die Natur nachgeahmt wird, kann die Kunst beruhen.
Was ein jeder Künstler aus der Natur herausholt, macht seine
Künstlerschaft aus, und wir müssen jahrhunderteweit zurückgreifen
, um auf einen Maler zu stoßen, der all sein erstaunliches
Können nur dazu verwandte, um uns das Wesen der Dinge sichtbar
vor Augen zu führen. Was aber heißt malerische Phantasie
anders als die Fähigkeit, durch den malerischen Schein das innere
Sein auch dem profanen Auge zu offenbaren? — Gerade jetzt, wo
uns eine allerdings äußerst geschmackvolle, aber greisenhafte Kunst,
wie wir sie in den englischen Porträts des achtzehnten Jahrhunderts
gesehen haben, vorbildlich hingestellt wird, haben wir
geglaubt, Ihnen in Leibi Werke zeigen zu sollen, die aus dem
ewigen Jungbrunnen der Natur geschöpft sind. — Vor Leibis Werk
will uns scheinen, als ob Talent und Charakter gleichbedeutend
seien, und gerade heute, in der Zeit der Kompromisse und des
Eklektizismus, sollen wir in Leibi neben dem großen Künstler den
aufrechten Mann ehren, der sich von niemand Gesetze vorschreiben
ließ, es sei denn von seiner Kunst, der keinem anderen Ziele
nachstrebte als seinem eigenen Ideal. — In der Bewunderung der
Meisterwerke, die uns überkommen sind, stehen wir niemand nach,
aber es erscheint uns als verderblichster Irrtum der Aesthetik, ein
feststehendes Ideal, dem jeder Künstler nachstreben soll, statuieren
zu wollen. — Nur voraussetzungsloses Studium der Natur — die
Kunstgeschichte aller Zeiten lehrt es — kann zu einer Renaissance
der Kunst führen."
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