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^-^> EDUARD VON GEBHARDT
EDUARD VON GEBHARDT STUDIE. AUS DER BERGPREDIGT
mann verständliches Kostüm zu wählen. Gebhardt
kleidete seine Figuren in die Tracht des
ausgehenden Mittelalters und der beginnenden
neuen Zeit, weil diese seinen künstlerischen
Absichten am meisten zusagte, umsomehr als
diese Epoche den protestantischen Gemeinden
durch die Sprache des lutherischen Bibeltextes
nicht fremd war.
Das Wesentliche in Gebhardts Kunst aber
ist der Ausdruck. Seine ganze Veranlagung
drängt ihn auf das Studium der Miene und
der Bewegung. Was er in die menschliche
Physiognomie hineinzulegen, was er durch
den Gestus auszudrücken weiß, umfaßt so
ziemlich alles, was auf dem Instrumente der
menschlichen Seele gespielt werden kann. In
die tiefsten Tiefen und in jauchzende Höhen
dringt, soweit es Menschenwitz eben vermag,
sein Geist, ja selbst die tausendfach durchdachten
Heilslehren weiß er in schlichter Einfalt
bis auf den Kern von aller Zutat zu entkleiden
und sie mit den beredten Ausdrucksmitteln
seiner Kunst wahr und groß vor uns
aufs neue erstehen zu lassen. „Dem Tüchtigen
ist diese Welt nicht stumm," — für
Eduard von Gebhardt ist sie Ausgang und
Ende alles Wissens, in der Natur liegen die
Wurzeln seiner Kraft und zwar dort, wo er
selbst, mit allen Fasern mit ihr verwachsen,
sich heimisch fühlt im deutschen Boden.
Für die großen Aufgaben, zu denen Gebhardt
berufen war, hat er in dem klassischen
Lande der Monumentalmalerei die erforderlichen
Vorstudien gemacht. Besonders die,
einer seligen, naiven Schaffensfreude entsprungenen
mittelalterlichen Mosaiken und
die Fresken des Tre- und Quattrocento
stählten ihm den Mut zu jener Kraftentfaltung,
die zum ersten Male im Kloster Loccum die
Probe bestehen sollte. Hier ward ihm die
ersehnte Gelegenheit sich auszusprechen, und
in der Fülle des zu verarbeitenden Stoffes
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