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AUS DER WERKSTATT EINES KUNSTLERS
Wilhelm Porte hat in seinen „Erinnerungen
an Karl von Pidoll" den Wunsch ausgesprochen
, das leider viel zu wenig bekannt
gewordene, nur für einen engen Freundeskreis
gedruckte Büchlein Pidolls „Aus der Werkstatt
eines Künstlers, Erinnerungen an Hans
von Marees" möge durch einen Neudruck und
durch Uebergabe in den Buchhandel allgemein
zugänglich gemacht werden. Dieser Wunsch
ist jetzt erfüllt. Der Neudruck der kleinen
bedeutungsvollen Schrift ist 1908 bei V. Bück
in Luxemburg erschienen, dankbar begrüßt von
allen denen, die einen zuverlässigen Führer
zu der komplizierten, nur schwer sich er-
*) Karl von Pidoll, »Aus der Werkstatt eines
Künstlers.« Erinnerungen an Hans von Marees.
Luxemburg 1908, Verlag von V. Bück. M. 2.50.
VIKTOR TILGNER
Jubiläumsausstellung im Wiener Künstlerhaus
schließenden Kunst des Hans von Marees
suchen. Pidoll ist der berufenste Führer zu
Marees. Von den Schülern des Meisters ist
er jener, dersich ihm am engsten angeschlossen
hat und der die stärkste Geistesverwandtschaft
mit ihm aufweist. Pidoll kam nicht als junger,
rasch entflammter Begeisterter zu Marees. Er
hatte schon ein gutes Stück seines Lebensweges
hinter sich. Er hatte als österreichischer
Offizier seine Laufbahn begonnen und war bei
Custozza im Feuer gestanden; später war er
zum Hauptmann im Großen Generalstab avanciert
und als solcher— mit der festen Absicht,
Maler zu werden — zur Reserve übergetreten.
Böcklin gewann er in Florenz zum Lehrer, auf
seinen Rat besuchte er nie eine Akademie. Von
Böcklin führte ihn sein Weg zu Marees, und
da hatte er gefunden, was er suchte.
Daß Marees ein wahrhaft idealer
Lehrer gewesen sein muß, das lehrt
uns das Büchlein, denn Pidoll behandelt
darin nicht nur seines Meisters
freischöpferische, sondern
auch dessen lehrende Tätigkeit. Pidoll
darf auch als Künstler einen
Platz in der Nähe seines Lehrers
beanspruchen. Zwar fehlt seinem
Werk jene glühende innere Notwendigkeit
, die aus dem Schaffen
Marees' spricht, zwar ist er von
seinem Meister durchaus abhängig,
aber er ist auch erfüllt von dessen
Geist und sicherlich der berufenste
Träger des künstlerischen Erbes
von Marees. So ist es auch keine
Anmaßung, daß er in seinem Testament
bestimmte, seine Werke
sollten neben denen seines Lehrers
aufgestellt werden. In einem Pavillon
des Scbleißheimer Galerieschlosses
sind nun die Gemälde des
Lehrers und des Schülers vereinigt.
Konrad Fiedler war nach Marees'
Tod (5.Juni 1887) in den Besitz von
dessen Nachlaß gekommen und
hatte den reichen Schatz dembayeri-
schen Staat geschenkt, als er die
rechte Zeit für das Verständnis der
Mareesschen Kunst gekommen
hielt. Im stillen Schleißheim wurden
die Tafeln aufgestellt, abseits
vom Strom des rasch zugreifenden
Kunstpublikums. Der sogenannten
„ Popularisierung" des Meisters mag
GOETHE
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