Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 17. Band.1908
Seite: 471
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^=4^> AUS DER WERKSTATT EINES KÜNSTLERS <^=^

das schaden, und insofern ist es vielleicht bedauerlich
; andererseits aber ist zu erwägen,
daß in Schleißheim das Werk dem Gekeife und
Gekicher der Einsichtslosen entrückt ist, daß
es dort draußen für viele wie ein Heiligtum
lockt, das nicht alltäglich ist, sondern zu dem man
an einem besonders gestimmten inneren Feiertageine
Wallfahrt unternimmt. SeitKarl von Pidoll
bei der Cestiuspyramide in kühler Erde
ruht — sieben Jahre sind über seinen Tod hingegangen
— hängt auch ein Teil seines Lebenswerks
dort draußen. Wer zu beiden Künstlern
wallt, der tut gut, zuvor Pidolls Büchlein gründlich
zu studieren; dann wird ihm vieles in der
oft rätselhaften Kunst der zwei Freunde klarer
und verständlicher sein. Denn das Büchlein
gibt nicht etwa nur - - wie sein Titel wohl vermuten
lassen kann —Nachrichten technischer
Natur, sondern es deckt auch die geistigen und
seelischen Tiefen der Mareesschen Kunst auf.-
Pidoll hat seine Erinnerungen an Hans von
Marees im Februar und März 1890 zu Paris
niedergeschrieben. Sie beziehen sich wesentlich
auf seine Studien und auf die spätere gemeinsame
Tätigkeit mit Marees in den Jahren
1880—81 und 1884—85. Ich kann mich des
Eindrucks nicht erwehren, daß diese Aufzeichnungen
mit peinlicher Gewissenhaftigkeit, mit
denkbar größter Objektivität gemacht sind, daß
aller Enthusiasmus, alle freundschaftliche Begeisterung
strengstens ausgeschaltet wurde.
Treu wie Eckermanns „Gespräche mit Goethe"
kommt mir das Büchlein vor. Man kann das
allerdings auch nicht anders erwarten, wenn
man die Schilderung Portes von Charakter und
Persönlichkeit Pidolls gelesen hat. Auf der
Objektivität und Zuverlässigkeit beruht der besondere
Wert der Pidollschen Schrift. Seiner
eigenen Absicht zufolge wollte Pidoll zeigen,
wie sich die Anschauungs- und Arbeitsweise
seines Lehrers praktisch vom Beginn bis zum
Schlüsse einer Arbeit darstellte. Wir wollen
dem aufmerksamen Beobachter bei seiner Betrachtung
folgen, aber vielleicht schicklich vorwegnehmen
, wie er im Schlußkapitel seines
Büchleins den ganzen Marees charakterisiert:
„Hans von Marees betrachtete die künstlerische
Tätigkeit als einen zusammenhängenden Ent-
wicklungs- und Erkenntnis-Prozeß, welcher die
Ausbildung des Sehvermögens und das unmittelbare
Erfassen der uns umgebenden Welt
durch das äußere und innere Gesicht zum Gegenstande
hat. Der Gesichtssinn galt ihm als
die schönste und vornehmste Gabe des Menschen
, die Ausbildung derselben als das einfachste
und sicherste Mittel in stetem Zusammenhange
mit der Natur zu leben, und als der
Schlüssel zu ihren tiefsten Geheimnissen. So

edel das Instrument, so schwierig erschien ihm
aber auch die Erlernung seines Gebrauchs und
er stand nicht an, zu diesem Geschäfte das
ganze Mannesleben mit allen seinen physischen
, geistigen und sittlichen Kräften in Anspruch
zu nehmen. Er hatte keine geringe
Meinung von den inneren Erfordernissen, deren
glückliches Zusammentreffen die Grundbedingung
einer ersprießlichen künstlerischen Tätigkeit
bildet. Die Kraft des Naturtriebes schätzte
er vor allem nach der Festigkeit, mit welcher
sich der Wille auf diese Tätigkeit konzentriert
und alle außerhalb derselben liegenden Lebensverhältnisse
zu meistern versteht. Nichts schien
ihm so echte Mannhaftigkeit zu erfordern, als
ganz und gar der Entwicklung der eigenen Natur
zu leben. . . Enthaltsamkeit und Geduld nannte
er des Künstlers vornehmste Tugenden, und die
Treue der Gesinnung „dasjenige, was den Taten
und dem Leben des Menschen erst Wert verleiht
." So erschien ihm der zum Charakter
kristallisierte und durch das Leben gestählte
Naturtrieb als die Grundlage, auf welcher sich
jener Entwicklungs- und Erkenntnisprozeß abspielt
. — Diesen Vorgang selbst pflegte er,
seinem Wesen nach, als intellektuelle Arbeit
zu bezeichnen. Nur daß der Drang nach Erkenntnis
hier auf den besonderen Anlagen der
künstlerischen Natur, auf der besonderen Beschaffenheit
der Organe des Künstlers beruht
— nur daß die Arbeit sich ausschließlich im
Reiche der sichtbaren Erscheinung betätigt. . ."

„Marees war kein Freund abstrakter Philosophie
; gleichwohl war er in seiner Art ein
großer Philosoph, d. h. ein Mann, der für sein
geistiges Wesen einer breiten, die ganze Welt
äußerer und innerer Erfahrung umspannenden
Fundamentalanschauung bedurfte und sich
dieselbe aus eben jenen Erfahrungen selbständig
schuf. Er faßte den Menschen im allgemeinen
als ein Stück individualisierter Natur
auf, welche sich vermöge ihrer gesteigerten
Organisation der übrigen Natur in gewissem
Sinne entgegensetzt und den eingebornen Trieb
nach Einheit und Harmonie als Drang nach
Erkenntnis äußert. . . . Weil Marees' künstlerische
Handlungen unter dem ununterbrochenen
Einflüsse eines geschlossenen und zielbewußten
Lebenswillens und unter der Herrschaft
jener höchsten Besonnenheit standen,
welche das vornehmste Merkmal eines hochentwickelten
Geistes ist, trägt seine Lebensarbeit
das Gepräge der Einheit. Weil jener
Wille es durchaus auf die Ausbildung der eigenen
Natur, auf die Bereicherung des inneren
Schatzes an lebendiger Figur abgesehen hatte,
trägt sein Werk das Gepräge der Allgemeinheit
, von welcher alles Zufällige und Beson-

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