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LOVIS CORINTH
KREUZABNAHME. ZEICHNUNG (1895)
daß ihre Entwicklung mit fünfzig Jahren keineswegs
abgeschlossen ist, bei feurigen, rastlos
strebenden Künstlern ist es fast die Regel.
Feste Kennzeichnungen von Fünfzigjährigen
müssen häufig später umgestoßen oder doch
wesentlich geändert werden. Bei Corinths
Einschätzung braucht man sich vor Befangenheit
oder vor der Notwendigkeit nachträglicher
Berichtigung nicht zu fürchten: Sein Werk liegt
heute so klar und deutlich vor aller Augen,
wie an dem Tage, da er an die Oeffentlichkeit
trat, und wenn man auch freudig damit rechnen
kann, daß noch lange Jahre hindurch frische,
packende Bilder so reichlich wie bisher aus
der Werkstatt des Meisters hervorgehen, so
wird doch das innerste Wesen der Kunst Corinths
stets das gleiche bleiben, denn es ist
begründet in seiner ruhigen, bewußten Persönlichkeit
.
Die Leser dieser Zeitschrift sind vor sechs
Jahren schon durch Hans Rosenhagen über
den Lebenslauf Corinths und die Stellung
seiner Werke im Urteil der Kunstgeschichte
ausführlich unterrichtet worden. Hinzuzufügen
ist für den Lebenslauf, daß er inzwischen
glücklicher Familienvater geworden ist, daß
er als Gattin eine hochbegabte Schülerin heimgeführt
hat, die nicht nur im Hause, sondern
auch in der Kunst seine Genossin ist. Zu
seiner Bewertung als Künstler ist zu bemerken,
daß die Widersprüche, auf die Rosenhagen
schon hingewiesen hat, die in Corinth die
Doppelnatur eines realistischen Akademikers
vermuten lassen, keineswegs geschwunden sind,
daß sie sich aber immer mehr als scheinbare
Widersprüche herausgestellt haben. Für Corinth
ist die realistische und die akademische
Vortragsweise, wie überhaupt jedwedes Schema,
jeder Typus der Malerei nur Mittel zum Zweck.
Es gibt für ihn nur ein Malsystem: das co-
rinthische. Freimütig und harmlos nimmt er
Anregungen von allen, die ihm etwas zu sagen
haben, von Alten und Jungen, Anregungen im
Stoff, in der Auffassung, der Ausführung; aber
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