Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 17. Band.1908
Seite: 484
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^=^> LOVIS CORINTH ~C^=^

wenn er auch irgend ein Vorbild eines anderen
Künstlers getreulich nachbilden wollte, es würde
doch immer ein echter Corinth daraus werden.
Die Unfähigkeit, sklavisch, täuschend nachzuahmen
, ist ein Merkmal aller starken, eigenartigen
Geister. Corinth verarbeitet keinen
Eindruck, keinen Gedanken, den er sich nicht
zuvor durch ein geeignetes Modell in die Wirklichkeit
umgesetzt hat.

Im Grunde genommen arbeiten alle Maler
nach der Natur, auch die, deren Stolz es ist,
„aus dem Kopf zu arbeiten". Das große Geheimnis
der Malerei beruht bekanntlich darin,
den richtigen Flecken (aus der Natur) an den
richtigen Ort (des Malgrunds) zu setzen. Der
photographische Apparat besorgt das tadellos
sicher und schnell. Er wird unerreichbar Vollkommenes
in der Nachahmung leisten, wenn
erst die Farbenphotographie noch etwas vorgeschritten
ist. Die menschliche Maschine zur
Uebertragung des
Natureindrucks auf
eine Bildfläche arbeitet
ganz anders
als die photographische
. In ihr setzt
sich das optische
Bild nicht unmittelbar
in einen chemischen
Vorgang um,
dessen Wirkungen
ähnliche optische
Reize erzeugen wie
die des Vorbilds.
Mit der Netzhaut
seines Auges nimmt
der Mensch zwar
die Naturerscheinung
ebenso auf,
wie die photographische
Platte, er
kann sie auch für
sich selbst mehr
oder weniger lang
und vollständig in
derErinnerung festhalten
, aber weitergeben
kann er sie
nur durch eine mechanische
Verrichtung
, die eine ganze
Reihe schlimmer
Hemmungen bedingt
. Soll die Wiedergabe
der Natur
eine peinlich genaue
sein, wie sie

als Beleg für wis- lovis corinth

j




senschaftliche Zwecke erforderlich ist, dann
kann der Mensch sich auf seine Erinnerung
allein nicht verlassen, er muß den Natureindruck
durch Nachmessen der Ausdehnungen und
Nachprüfen der Farben stückweise, bedächtig
festlegen und das gewonnene Ergebnis möglichst
unverändert zur Wiedergabe benutzen.
Heute ist selbst für die Wissenschaft eine solche
Arbeit des Malers ziemlich überflüssig, als
Kunstleistung konnte sie nie gelten. Der flüchtige
Anblick der Natur vermag dem Menschen
nichts zu sagen. Erst bei längerem Beschauen,
bei Beobachtung und Vergleichung der Veränderungen
, die Bewegung, Beleuchtung u. drgl.
hervorbringen, beginnt die Natur zu leben, ein
Genuß zu werden. Diese Belebung durch
zeitlich aufeinanderfolgenden Wechsel der Erscheinungen
kann ein Bild nicht geben. Wer
aber dies Bild der Natur nicht lediglich als
Licht und Farbenreiz auf sich wirken läßt, wer

es erfaßt und zerlegt
in die Grundformen
, aus denen
sich jede Gestaltung
aufbaut, in die
Grundfarben, aus
denen sich jeder
Mischton zusammensetzt
und so das
allmähliche, verwickelte
Naturgeschehen
gleichsam
im Augenblick nachempfinde
t,dem wird
der Anblick der Natur
zum inneren Erlebnis
. Der Künstler
gibt die Natur,
die er bis auf ihren
Kern mit dem Auge
durchdrungen hat,
so wieder, wie sie
ihm offenbar geworden
ist und offenbart
dadurch anderen
das Naturgeschehen
. Die äus-
serliche Genauigkeit
ist ihm dabei
Nebensache, es
kommt ihm auf die
innerliche Folgerichtigkeit
der Erscheinungen
an und
diese erreicht er
besser durch gelegentliches
Ueber-
zeichnung treiben oder Ein-

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