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LOVIS CORINTH
BILDNIS SEINES VATERS (1888)
schränken, Zerlegen oder Zusammenfassen
der einzelnen Teile des Naturbilds, als durch
peinliches Nachahmen. Bei solchem zielbewußten
Abweichen von der äußerlichen
Wirklichkeit werden übrigens auch die obenerwähnten
Hemmungen bei der Wiedergabe
gemildert und zum Teil überwunden. Es gibt
Künstler, die das unbefangene Erleben eines
Natureindrucks weiterspinnen zu einer Folge
tiefer Gedanken, oder denen von vornherein
die Natur nur Mittel zum Zweck der Darstellung
ihrer Gedanken ist. Die Künstlerschaft
dieser „Idealisten" soll nicht bestritten
werden, wenn sie auch in den meisten Fällen
durch Worte mehr erreichen würden, als durch
Formen und Farben. Die eigentlichste Aufgabe
und erste Pflicht des bildenden Künstlers
ist es aber, einen Natureindruck frisch
und kritiklos wiederzugeben, wie er ihn erlebt
hat, so unmittelbar, wie es eben der Weg vom
Auge durch das Gehirn, den Arm, die Hand
und das Werkzeug erlaubt. Dieser Pflicht
war sich Corinth von Anfang an in vollem
Maße bewußt. Der Glaube an den Wert seiner
Persönlichkeit, frei von Hochmut und Klügelei,
aber unerschütterlich, hat ihn nie verlassen.
Ohne Ueberhebung, aber auch ohne Zugeständnisse
ist er seinen Weg gegangen. Unbedenklich
und mit eisernem Fleiß hat er gelernt
, wo er lernen konnte, aber niemals strebte
er nach der Aneignung blendender Kniffe, die
zu einem billigen Geschicklichkeitserfolge verhelfen
konnten. Alles, was er annahm, verarbeitete
er innerlich so gründlich, daß es
sein redliches Eigentum wurde. Wie klar er
vorging, das empfindet jeder beim Durchlesen
seines, im Maiheft dieser Zeitschrift besprochenen
Buches „Das Erlernen der Malerei". Im
wesentlichen erzählt er darin, wie er selbst
die Malerei erlernte, und die Darstellung ist
so sachlich und überzeugend, daß es keinem
Zweifel unterliegen kann, wie ernsthaft und
bewußt bedächtig er vorgegangen ist. Darum
ist es auch nicht verwunderlich, daß er nicht
nur ein guter Maler, sondern auch ein guter
und gesuchter Lehrer ist.
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