Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 17. Band.1908
Seite: 562
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CARL LEIPOLD

Münchner Jahresausstellung 1908

MÜHLE AN DER STOER

VAN GOGHS BRIEFE

Von Ernst Schur

Eine neue Kunstliteratur ist im Entstehen,
die von dem Ringen eines neuen Malergeschlechts
Kunde gibt. Gauguins „Noa Noa"
ist dahinzurechnen; die „Erinnerungen an
die Impressionisten" von Moore. Briefe, Tagebücher
, Schilderungen von Augenzeugen; sie
haben den Vorzug des unmittelbaren Erlebens
und schneller, tiefer, als „objektivere" Darstellungen
es vermögen, führen sie uns in
eine eigene Welt ein, die neben der realen
Welt existiert, die Welt der Kunst; wirklicher,
qualvoller, schöner als die reale Welt, die sie
durch ihre Existenz erst bereichert.

Was ist das für ein wundervolles Buch:
Die Briefe von van Gogh!*) Wer wissen will,
was Kunst und Ringen um Kunst ist, der
muß dieses Buch lesen, in dem alles von
Leidenschaft zittert. Welche Kraft, welche
Klarheit! Wie dringt van Gogh bis in die
Tiefe aller Probleme ein! Wer je an der

*) Vincent van Gogh, Briefe. 2. vermehrte Auflage
. Mit 12 Abbildungen. Geb. M. 3.60. Verlag
Bruno Cassirer, Berlin.

Echtheit seiner Kunst, an der Ehrlichkeit seines
Wollens zweifelte (doch sprechen ja seine Bilder
beredt genug von dem elementaren Muß
seiner Begabung), der wird hier die Dokumente
rinden, angesichts deren alle Kritik
verstummt. Eine primitive, urwüchsige Kraft
ist in diesem Künstler, ein beinahe exzentrischer
Drang, der Dinge Wesenheit und Schönheit
zu fassen. Er gibt einen Ausblick in die Zukunft
. Den landläufigen Realismus hat er überwunden
und sein Auge schaut in Gefilde, wo die
Phantasie ihre schöpferische Energie bekundet.
Diese klaren und schönen Briefe werden dazu
beitragen, seiner Kunst Geltung zu verschaffen.
Wie van Gogh die ganze Natur als Farbe
sieht, dafür ein Beispiel: „Am Strande, der
ganz flach und sandig ist, kleine grüne, blaue
und rote Schiffe, in Form und Farbe so reizend
, daß man dabei an Blumen denkt." Oder :
„Wie ich male, weiß ich selber nicht. Ich
setze mich mit einem weißen Brett vor den
Fleck, der mich interessiert, sehe mir das an,
was ich vor Augen habe und sage zu mir

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