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DAS HAUS HENKELL IN WIESBADEN
ß$?<£^0(^H^ n ^er ^rt zu w°hnen zeigt sich
sf^^K^^li vielleicht am deutlichsten der
lil^lWffll Kulturstand eines Volkes, und
JL es ist durchaus bezeichnend für
^W/^^^^M die zweite Hälfte des verflos-
^J^b^^oB senen Jahrhunderts, daß man
dem Aeußeren des Wohnhauses eine völlig
übertriebene Wichtigkeit beimaß und die Gestaltung
des Inneren, die Gesamt-Anlage im
einzelnen und im Verhältnis zur Umgebung
beinahe ganz vernachlässigte. Da überdies
der Bürger sich in der Nachahmung und
Aneignung fürstlichen Prunkes gefiel, der
aber unter ganz veränderten Verhältnissen
und mit unzureichenden und unwahren Mitteln
angestrebt wurde, und da diese Emporkömmlings
-Wünsche auch im Inneren der Wohnung
überall hemmend und die gesunde Sachlichkeit
störend zu tage traten, so kam ein recht
abstoßendes Gemisch von äußerlich hohlem
und lächerlichem Putz und innerer Barbarei
zustande. Mit dem Wiederhervortreten der
bürgerlichen Schichten erlangten auch die
Städte vermehrte Bedeutung, die neuen Verkehrsmittel
erlaubten einen bequemen Wechsel
des Ortes, die Bodenpreise wuchsen außerordentlich
, ohne daß der Staat oder die Gemeinwesen
in die Besitzverhältnisse der einzelnen
eingriffen, und so kam es, daß, bei
uns in Deutschland wenigstens, das städtische,
hoch und eng gebaute Miethaus mit seinen
einzelnen Stockwerkwohnungen die durchaus
überwiegende Form des Wohnhauses überhaupt
wurde und man seine schlechten und
so überaus mangelhaften Gepflogenheiten gedankenlos
auch auf die ländlichen und vorstädtischen
Hausbauten übertrug.
Viel günstiger haben sich in England diese
Verhältnisse gestaltet, das auch in den Fragen
der Wohnkultur, wie auf so vielen anderen Gebieten
der Lebensformung, eine außerordentlich
hohe Stufe einnimmt. Mancherlei Umstände
haben dazu beigetragen, daß die Dinge
hier eine so gesunde und beneidenswerte Entwicklung
zeigen. Durch kluge Gesetze sind
die Geschäfte mit Grund und Boden sehr
erschwert, so daß der Besitz eines eigenen
Hauses auch den wirtschaftlich schwächeren
Schichten möglich ist. Auch in den Städten
hat das Miethaus deshalb nie festen Fuß
fassen können, und seine unheilvollen Wirkungen
sind ausgeblieben. Dazu kommt, daß
die allgemeine günstigere Lebenshaltung zu
einer behaglicheren und wohlanständigeren
Ausgestaltung der Wohnung führte, und daß
ein dem englischen Leben überhaupt eigenes
Festhalten an alten überkommenen Gütern
von vornherein einen gesunden Weg wies.
In jüngster Zeit hat vor allem Muthesius
immer wieder auf diese englischen Wohnformen
hingewiesen und gezeigt, wie sie aus
den sachlichen Bedürfnissen des Lebens und
den Eigentümlichkeiten der Volksart gewachsen
sind, und wieviel wir aus ihnen lernen können
.*) Besonders ist es das englische ländliche
Eigenhaus, das heute, wo auch bei uns eine
langsame Abkehr vom Miet-Stockwerkhause
zu bemerken ist, die Blicke auf sich zieht.
Bei dem englischen Landhause, das wohl die
höchste bisher erreichte Stufe der Wohnkultur
bezeichnet, ist alles so sachlich gut
und einwandfrei gelöst, daß für diesen bestimmten
Zweck eine bessere Lösung kaum
zu finden ist. Es stellt eine so hohe Kulturleistung
dar, daß man sich nicht zu scheuen
braucht, viele seiner Formen und Einrichtungen
einfach zu übernehmen. Jedenfalls
würde man dadurch den eigentlichen Wohnhausbau
in Deutschland außerordentlich fördern
, während man sich doch nicht die Möglichkeit
nimmt, den veränderten Bedürfnissen
und der eigenen Volksweise gerecht zu werden
. Und man würde auf einen Umstand
besonders hingewiesen werden, der gerade
in Deutschland fast außer Acht gelassen
wurde, daß nichts für die menschliche Wohnung
von gleicher Wichtigkeit ist, als ihre
gute und bequeme Benutzbarkeit.
Die Ansätze zum Besseren in den Wohngewohnheiten
sind freilich bei uns in Deutschland
noch sehr bescheiden; aber sie sind doch
zu erkennen, und das englische Vorbild hat
zunächst bewirkt, daß für das Landhaus mit
seinen nach allen Seiten freien Gestaltungsmöglichkeiten
von dem Miethaus-Beispiel abgegangen
, und daß der Grundriß nach dem
tatsächlichen Bedürfnis gestaltet wurde. Dadurch
ist schon außerordentlich viel gewonnen,
sind die Grundlagen für die Gesundung des
Wohnhausbauesgelegt; alle Fragen nach Einzelheiten
und nach den äußeren Formen des
Hauses sind dann nebensächlich, und man
*) Vgl. Landhaus und Garten. Beispiele neuzeitlicher
Landhäuser nebst Grundrissen, Innenräumen
und Gärten. Mit einleitendem Text herausgegeben
von Hermann Muthesius. 500 Abbildungen und
farbige Beilagen. Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.,
München. Preis in Leinen gebunden 12 Mark.
Dekorative Kunst. XI. I. Oktober 1907.
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