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ernst riegel-darmstadt « silberner anhänger
mit perlen; vögel aus silber und gold
sicher und leicht aus dem Fuß emporwachsen
und aufsteigen, sind Schwere und Zierlichkeit
einander gleichgesetzt in einer Mischung
und einem Wechsel, die aus der Gefahr, gesucht
und spielerisch zu werden, immer wieder
einen Ausweg zu finden wissen.
Die vom Großherzog von Hessen zur dritten
Jahrhundertfeier der Gießener Universität gestiftete
Rektoratskette erscheint in der Nachbildungleichter
, alsein dashöchste akademische
Amt kennzeichnendes Schmuckstück erlaubt.
Aber wer sie in ihrer „Funktion" auf der Brust
des Rektor magnificus gesehen, wie ich in den
Gießener Jubiläumstagen, spricht sie von diesem
Fehler frei und rühmt die geschickte Vereinigung
von Gold im Gehänge und der Prägung
der Medaillons, Email in den Wappen und
Saphiren in dem angefügten und eingestreuten
Edelsteinzierat.
Was Riegels große Stücke naturgemäß nur
in versteckten Andeutungen verraten können,
seine Freude an humorvoller Bildung, das sagen
die lustig erdachten kleinen Beschläge aus Eisen
mit Messingnägeln in freiem Ausspruch
der Lust am Schaffen, und sie leiten zum Ausgangspunkt
dieses Lobes der RiEGELschen
Kunst zurück, das zuerst ihre Vielseitigkeit
hervorgehoben hat. h. werner
BASARWARE
Die moderne Raumkunst gibt dem alltäglichen
Leben eine Steigerung, eine Erhöhung
. Sie begnügt sich nicht mit der Erscheinung
, sondern sie will dieser Erscheinung
Charakter und Schönheit verleihen. Sie ist
daher bestrebt, das Geltungsgebiet ihrer Tätigkeit
immer wieder zu erweitern, und das
Größte wie das Kleinste bietet ihr Aufgaben,
an deren Bewältigung sie ihre Kraft, ihre
Bedeutung zeigt.
Es scheint nun auch die Zeit gekommen
zu sein, an die Verwirklichung einer Idee zu
denken, die eine weitere Folge der Entwicklung
darstellte: Die künstlerische Neugestaltung
der Basarware.
Man fragt sich oft, wie es kommt und wo
die Notwendigkeit liegt, daß gerade diese
Massenware so unsäglich verkommen ist, die
doch gerade um dieses Massenabsatzes willen
wie geschaffen erscheint, einfach und künstlerisch
zu sein, da die Einträglichkeit gesichert
ist. Sie erregt jedem Kulturmenschen
Entsetzen.
Und wieder ist hier die Antwort die gleiche,
wie bei allen anderen Fragestellungen, die
auf den Geschmack hinauslaufen. Die Verwilderung
trat dadurch ein, daß die Fabrikanten
ausschließlich das Feld gewannen und mit
dem Publikum paktierten. Jetzt erst tritt der
Künstler hinzu, und wie in jedem Menschen
Gut und Böse neben einanderliegen, so ist
auch das Gefühl für Geschmacklos und Schön
im unklaren. In beiden Fällen kommt es auf
die Erziehung an, und die schöne Ware trägt
ihren Propagandawert schon in sich. Man
müßte denn der komisch-mystischen Auffassung
zuneigen, als trüge das Publikum eine
Idee, eine Vorstellung von der größten Geschmacklosigkeit
der Dinge in sich, und die
Fabrikanten hätten dieser Idee nachgespürt,
ihnen wäre es gelungen, sie zu verwirklichen.
Vielmehr ahmten die Fabrikanten nach, was
die maßgebenden Kreise für gut hielten, und
gerieten natürlich, da der Gegenstand in der
Weise so billig nicht herzustellen war, in Talmi
und Nachahmung, und das Publikum nahm es
hin, weil es dem ähnelte, was die höheren
Kreise annahmen. Heute gilt es nun, den
umgekehrten Weg einzuschlagen; nicht von
oben nach unten, sondern von unten nach
oben vorzudringen. Die Billigkeit mag bestehen
bleiben, da sie in den wirtschaftlichen
Verhältnissen begründet ist. Dann müßte zugesehen
werden, welche Rohstoffe und welche
Arbeitsweisen hierfür in Betracht kämen, und
danach gebe man dem Stoff die Form, die
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