http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0063
seits wieder der Grimm darüber, daß es doch
nicht ohne den Geist geht. Soll man wirklich
noch einen Kampf gegen diese Phalanx grollender
Kongreß-Obskuranten führen? Soll man
wie Sisyphus alle Argumente herbeirollen, um
ihnen historisch, volkswirtschaftlich, intellektuell
, ästhetisch zu beweisen, wie sie, die großen
kunstindustriellen und kunstgewerblichen Firmen
, unserem Volke ruchlos geschadet haben
bis zu dem Zeitpunkt vor zehn Jahren, wo die
Reaktion mit unerhörter Kraft und mit einem
Schwünge einsetzte, wie er eben nur aus der
Intensität der Unerträglichkeit erklärt werden
kann ?
Wir glauben nicht, daß es einen Zweck hätte.
Wir werden sie nicht bekehren. An ihren
Früchten soll man sie erkennen. Man sammle
tausend Kataloge dieser jetzt so entrüsteten
Firmen aus den Jahren 1875—95, man bringe
ein Museum deutschen Firmengeschmacks aus
diesen Jahren zusammen und stelle daneben
das hin, was die Handvoll Künstler seit 1895
bis jetzt in deutschen Landen wirkend und
„firmenanregend" geleistet haben, und jedes
schriftliche Polemisieren wird überflüssig sein.
Das Auge soll der letzte Richter sein.
Doch auch die humoristische Seite des
Falles fehlt nicht. Wir sprachen von Katalogen
von Scheußlichkeiten. Wenn wir aber
die Kataloge dieser entrüsteten Firmen aus
dem Jahre des Heils 1907 in die Hand nehmen,
so sehen wir ja ein ganz anderes Bild! In
geschmackvoller Darbietung lächeln uns ganze
Reihen sehr anständiger und hübscher Sachen
entgegen; und stolz spricht dann die Firma
und der Kommerzienrat: Was sagt Ihr jetzt?
Leisten wir nicht alles, was man sonst nur
als Verdienst der Herren Künstler hinstellt,
die alle grasgrüne Jungens sind und an Größenwahn
leiden? Brauchen wir denn noch überhaupt
Künstler? Sind nicht wir die eigentlichen
Modernen?
O ihr Pharisäer! Was tut ihr denn jetzt
anderes, als was ihr stets getan? Wie ihr
früher fleißig Hirths Formenschatz geplündert,
in allen Vorlagenwerken gewühlt habt, die
Zeichner aus den vielgeschmähten und euch
doch unentbehrlichen Kunstgewerbeschulen
ausgebeutet habt, die Entwürfe berühmter Stilarchitekten
hundertfach verwässert wiedergabt,
ohne fähig zu sein, etwas Eigenes aus den
alten Stilen neu zu schaffen: so seid ihr jetzt
auf alle Kunstzeitschriften als Spickhefte abonniert
, besucht ihr alle Ausstellungen, besitzt
ihr alle Kataloge englischer, französischer und
amerikanischer Firmen, spürt ihr jede neue
Mode aus und zwingt, wie stets, eure Zeichner,
heute im Jugendstil, morgen nach neu-englischer
, übermorgen nach Biedermeier, Neu-
Wiener oder Neu-Dresdener Art zu entwerfen.
Ihr seid modern? Ihr habt den guten Geschmack
? Ihr seid sachlich-konstruktiv? Ihr
seid schöpferisch ? Ein Schauspiel für Götter!
Ja, von wem habt ihr denn diese herrlichen
Dinge alle außer von uns grasgrünen Künstlern?
ERNST RIEGEL-DARMSTADT« KOKOSNUSZBECHER
GESCHNITTEN MIT SILBERFASSUNG UND PERLEN
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