Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 48
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0068
PETER BEHRENS UND BERLIN

Innerhalb der Entwicklung des modernen Kunst-
gewerbes vollzieht sich augenblicklich eine Richtungsänderung
, die vielleicht eine neue Periode einleitet
. Diese Richtungsänderung wird angezeigt durch
die Tatsache, daß Peter Behrens nach Berlin
übersiedelt. Man muß, um die Folgerichtigkeit dieser
Entwicklung zu verstehen, hinzunehmen, daß. zuvor
Bruno Paul nach Berlin berufen wurde, und daß
die Münchener »Vereinigten Werkstätten« zusammen
mit den Dresdenern eine Filiale in Berlin eröffnen.

Berlin nahm bisher — es ist genugsam bekannt,
daß Berlin eine Stadt ohne Kultur ist ■ in dem
modernen Kunstgewerbe keine hervorragende Stellung
ein. Von anderen Städten ist die Bewegung,
die vom Ausland kam, unterstützt und weitergeführt
worden. Es zeigte sich der Vorteil der kleineren
Hauptstädte.

Man ist aber davon etwas zurückgekommen. Man
denke an Weimar und an die Unsicherheit in
Darmstadt. Und in Düsseldorf fand Behrens nicht
den Wirkungskreis, der ihm Aufgaben monumentaler
Art zugeführt hätte.

In diese Lücke, die offengeblieben war, tritt Berlin
nun ein, und man kann somit in der Entwicklung
der modernen Raumkunst drei Etappenunterscheiden,
die sich durch die Namen München, Darmstadt,
Berlin kennzeichnen lassen. Nicht in dem Sinne,
daß eine Stadt die andere ablöste. Der Vorzug der
deutschen Bewegung ist gerade, daß sie, einmal begonnen
, den Weg ins Breite nimmt und das Nebeneinander
bevorzugt, so daß allenthalben Kräfte geweckt
werden. In dieser fortdauernden Erneuerung
und Erweiterung liegt die Gewähr für die Fortentwicklung
. Vielmehr ist damit nur gesagt, daß bestimmte
Momente diese oder jene Stadt in den
Vordergrund treten lassen. Diese Momente liegen
in dem Wesen jeder Stadt begründet.

München gab die Anregungen und sorgt durch
fortdauernde Erneuerung im künstlerischen Nachwuchs
dafür, daß stets die Bedeutung der Stadt im
Auge bleibt. Darmstadt zeigte die Möglichkeiten
der dekorativen Kunst, sofern sie von der Gunst
eines Einzelnen Unterstützung erhält.

Aber immer weiter zieht das moderne Kunstgewerbe
seine Kreise, und es stand nun vor der
Probe, ob es fähig sei, allein durch sich selbst sich
zu halten. Das Kunstgewerbe mußte zu diesem
Zweck die Verbindung mit der Industrie suchen.
Nachdem Dresden eine Generalmusterung abgehalten
und gezeigt hatte, wie sehr schon die dekorative
Kunst Verbindungen nach allen Seiten angeknüpft
hatte, wurde diese Forderung immer dringlicher, und
es war klar, daß ein Industriezentrum von unermüdlicher
Beweglichkeit womöglich ohne eigene künstlerische
Vergangenheit den günstigsten Boden für
die weitere Entwicklung abgeben müßte.

Berlin war hierzu besonders bestimmt. Und es
war vorauszusehen, daß die künstlerischen Kräfte
hier zusammenströmen würden. Bruno Paul war
ein Anfang. Behrens ist der Fortgang. Andere
werden vielleicht bald folgen. Berlin bietet reichlich
neue Aufgaben. Viel Kraft liegt hier noch
unverwertet. Und wer die geradezu staunenerregende
Expansionskraft dieser Stadt kennt und mit angesehen
hat, wie viel in den letzten Jahren hier in
Architektur und Kunstgewerbe in Angriff genommen
ist, kann nicht zweifeln, daß wir vor einer neuen
Zukunft stehen, sobald die Künstler sich einfinden.

Diese Verbindung ist nun eingetreten, und wir
dürfen der ferneren Entwicklung mit besonderer
Hoffnung entgegensehen. Diese Verbindung konnte
erst jetzt eintreten; nachdem in München das künstlerische
Einzelvermögen gestärkt war, nachdem man
in Darmstadt dann tastend Neues versucht hatte,
nachdem Dresden die dekorative Kunst wie eine
stattliche Heerschau vorbeiziehen ließ. Nun erst
konnten die Künstler sich getrauen, einem Industriezentrum
ohne Furcht entgegenzutreten, fähig, dem
Leben des Tages gültige, künstlerische Gesetze vorzuschreiben
.

Behrens hat diese drei Etappen mit durchlebt.
Er wird also die historische Notwendigkeit dieses
Schrittes eindringlich genug empfunden haben. Sollte
er in Düsseldorf, das für die dekorative Kunst einen
so ungünstigen Boden darstellt, bleiben, wo die
Anzeichen einer neuen Zeit sichtbar wurden ? Was
in Düsseldorf zu leisten war, die Neugründung der
Schule, war geleistet. Nun galt es, nach neuen Taten
auszuschauen, und es ist kein Zweifel, daß eine
Stadt wie Berlin einem Künstler wie Behrens
große und fruchtbare Aufgaben bieten wird.

Gerade solch ein Künstler tut Berlin not. Dessen
Persönlichkeitsgefühl so ausgebildet ist, daß er nicht
jeweiligen Launen zum Opfer fällt und Verantwortung
genug besitzt, um auch äußeren Widerständen
gegenüber sich durchzusetzen. Er wird die tatkräftigen
Firmen Berlins um sich sammeln können.
Er wird auch, so kann man hoffen, den von oben
her kommenden, unkünstlerischen Einflüssen, die
so manchen, der künstlerisch begann, auf die falsche
Bahn lockten, unzugänglich sein und sich und sein
Werk im Auge behalten.

Gewiß, Berlin ist kein Kunstzentrum wie München
, wie Darmstadt, wie Dresden. Aber braucht
die moderne Entwicklung nicht auch solche Städte?
Vielleicht gerade solche ? Berlin ist ein Interessenzentrum
. Und da Interessen das Bestreben haben,
sich zu durchkreuzen, auseinander- und wegzustreben
und immer neue Wege zu suchen, kommt jene
Unruhe zustande, die ein vertieftes, eigenes Beschäftigen
mit künstlerischen Problemen, das Ausreifenlassen
schwer zuläßt; dieser Nachteil trifft aber nur
den einzelnen, der darüber mehr oder weniger jammert
. Im Hinblick auf das Ganze ist dieser Zustand
nur ein Uebergang, der künftigen Reichtum auch im
Künstlerischen als möglich erscheinen läßt. Sobald
man außerhalb der kleinen egoistischen Interessen
steht, wird man diesen neuen Weg erkennen.

Dieser Fortschritt wird dann in so weite Kreise
getragen, daß er nach und nach der Allgemeinheit
zugute kommt, während dieses Neue in kleineren
Zentren mehr exklusiv bleibt und mit dem einzelnen
stirbt. Nicht der künstlerische Gesichtspunkt ist in
Berlin maßgebend, sondern die Interessen. Sie
wirken fördernd, erhöhend, wenn durch einige Künstler
der Weg gezeigt wird. Man muß eben Berlin,
das im wesentlichen nichts anderes ist als ein rühriges
Industrie- und Handelszentrum, das über ein
so zahlreiches Menschenmaterial (als Produzenten
wie als Konsumenten und als Vermittler) verfügt,
bei dieser, seiner Wesensseite packen.

Und Peter Behrens ist der Künstler, der
Wesensaufgaben klar erfaßt. Seiner ganzen künstlerischen
Anlage nach war es für ihn eine Notwendigkeit
, daß er nach Berlin kam. Erst hier wird
er seine Kräfte entfalten können. Ernst Schur

Für die Redaktion verantwortlich: h. BRUCKMANN, München.
Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G., München, Nymphenburgerstr. 86. — Druck von Alphons Bruckmann, München.


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