Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 65
(PDF, 145 MB)
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Varia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Public Domain Mark 1.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0085
ZUM KUNSTSCHAFFEN UNSERER ZEIT, INSBESONDERE

AUF KIRCHLICHEM GEBIET

Es gibt nichts Trostloseres, als dem Kunstschaffen
unserer Zeit zuzuschauen, ganz
besonders den Architekten, Bildhauern und
Malern, die in Dorfkirchen und Domen ihren
Geist und ihre stumpfen Seelen verraten.
Es sind meistens mit den besten Zeugnissen
versehene Mustermenschen, die in der Wirrnis
einer Kunststadt und in den Krallen eines
Akademieprofessors den letzten Rest ursprünglicher
Empfindung verloren haben. Sie bringen
ihre Virtuosität und ihren Dünkel nach Hause
und finden in enggeistiger Parteiung und durch
gewissenlose Protektion ihre Aufträge. Nichts
gestaltet sich bei ihnen aus innerer Notwendigkeit
. Wenn der Gewinn es zuläßt, dann stützen
sie sich auf einen Stab meistens unreifer
Lehrlinge und Gehilfen und ziehen vereint
mit ihnen jene hohe Welt religiös-poetischen
Empfindens in den Staub, deren reine Spiegelung
gerade in unserer Zeit Wunder der Versöhnung
wirken würde. Diese Menschen wissen
recht wohl, was sie tun, sie würden bei wachsender
Selbstbesinnung in eigenster Kraftentfaltung
und Liebe zu der Natur und den
Werken älterer Zeit schon allmählich etwas
Tieferes geben, doch es fehlt ihnen der Mut
zur Ehrlichkeit, sie wollen Geschäfte machen,
müssen ein großes Haus führen und bleiben
Sklaven. Sie wissen wohl, daß ehrliche Kunst
wie die Religion und die Natur Wahrheit
offenbart, doch sie halten sich von einer
tieferen Auffassung der Dinge fern, weil sie
fühlen, daß es in den höheren Bezirken nicht
mehr so glänzende Einnahmen gibt. Sie stehen
viel zu niedrig, um die Kunst als Wahrheitsoffenbarung
zu fassen und mit dem Mainzer
Bischof von Ketteier also darüber zu empfinden
: „Jede geoffenbarte Wahrheit hat zwei
Seiten. Nach der einen reicht sie in die
unendliche Tiefe des Wesens Gottes, nach
der anderen läßt sie sich hinab bis in die
Kinderseele, wo sie das Ebenbild Gottes in
seiner tiefsten Verborgenheit unter der Einfalt
des Kindes antrifft, zugleich aber mit
einer wunderbaren Fähigkeit der Ausbildung
für Gott, der Erhebung bis zu Gott."

Jedes Werk ehrlicher Kunst strahlt wie
ein Kind jene Harmonie aus, mit deren Erleben
wir engbegrenzte Menschlein eine beglückende
Ahnung vom Wesen des Höchsten
haben, den wir ja nur in Attributen erfassen

können. Was wir mit religiösem Wesen bezeichnen
, ist die tiefe Sehnsucht nach einer
endgültigen Harmonie, nach Frieden mit dem
Ganzen — mit Gott. Nur mit unseren Sinnen
können wir die durch die Kunst gesteigerten
Harmonien der Natur nach dem Grad unserer
Empfänglichkeit wie ein Himmelsglück empfinden
, und je schlichter wir die Schönheit
und Wahrheit der Erde verkünden, desto
größere Himmelssehnsucht wird uns aus echter
Kunst erblühen wie aus jenen unvergänglich
schönen Bildern, die Jesus dem Leben der
Natur entnahm.

„Die Religionen, höchste Kraftanstrengungen
der Menschheit, sind nichtsdestoweniger
den menschlichen Bedingungen unterworfen
, und wenn sie auch den Himmel offenbaren
, so hängen sie doch von der Erde ab."
Auf das einfache Wahrsein kommt es an!
Feuchtersieben sagt so schön: „Den Männern
sag ich dies : es gibt keine Kraft ohne Wahrheit,
und den Frauen sei gesagt: ohne Wahrheit gibt
es keine Anmut. Und soll ich ein Geheimnis
ausplaudern, das so nahe liegt und doch so
schwer gefunden wird, so wisset, daß das,
was ihr als Genie bewundert, nichts ist als
— Wahrheit."

Diese Menschen aber — nein — Menschen
sind es noch lange nicht — die Herren Könner
scheuen sich vor der Offenbarung ihres Wesens,
sie tauchen deshalb alles in einen Schimmer
kraftloser Süßigkeit und schablonieren mit
Maßstab, Meißel und Pinsel tausend Dinge
hin, in denen sich in früheren Jahrhunderten
und bei einzelnen Künstlern unserer Zeit die
edelsten Regungen der Menschheit manifestierten
. — Ich habe es erlebt, daß ein
Meister, vom Frühschoppen kommend, den
Fortgang einer Kirchenbemalung anschaute
und dabei seinem Gehilfen zurief: „Wenn
Sie mir mit der Madonna nicht vorankommen,
halte ich Ihnen so und soviel vom Lohn ab."
Das hat mich damals ungeheuer empört! Es
ist schlimm, daß den Theologen zum größten
Teil der Blick für ehrliches und unehrliches
Kunstschaffen fehlt, jedoch die Gewissenlosigkeit
jener Architekten, Bildhauer und
Maler ist noch schlimmer. — Ich kenne einen
anderen Fall, in dem in einem Wallfahrtsort
einem Maler durch die reichlich zufließenden
Mittel die größten Aufträge zufallen. Er selbst

Dekorative Kunst. XI. 2. November 1907.

65

9


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0085