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-*r4^> JOS. LICHTENBERG: ZUM KUNSTSCHAFFEN UNSERER ZEIT <^=^
würde mit seiner eigenen Kraft sicher etwas
Gutes geben, jedoch die große Herde seiner
Lehrlinge und Gehilfen überzieht die Wände
und sogar die Säulen mit Bildern, deren Wert
nicht viel höher steht wie die bunten Sachen,
die Zigarrenkisten schmücken.
Wo, wie in diesen Fällen, die rechte Liebe
fehlt, da fehlt auch die Erkenntnis! Die Liebe
und alles, was aus der Liebe stammt, leidet
unter dem Unsegen solcher Geschäfte, deren
Führer selten mehr als Ehrendiebe sind! Zum
eigenen Heil sollte man den Katholiken beim
Vergleich alter und neuer kirchlicher Kunst
einen Bildersturm predigen. Eine Selbstbefreiung
vom Nichtssagenden und Ueberflüssigen,
von der bunten, süßlächelnden Fabrikware,
wie sie in Lourdes, bei St. Sulpice in Paris,
am Borgo nuovo in Rom, in Kevelaer am
Niederrhein und an vielen anderen Orten feilgeboten
und immer wieder von frommen
Gemütern den Kirchen geschenkt wird. So
einem Pfarrer sollte mindestens ein Bewußtsein
dafür vermittelt werden, was die Einheitsund
Vollkommenheitswirkung seiner Kirche
ausmacht (der rechte Mann könnte ihm das
an einer Blume zeigen!), und er sollte die
frommen Seelen bitten, mit ihren Mitteln
wirkliche Not zu heben. Er sollte auch die
Einsicht und den Mut haben, einen bestens
empfohlenen Könner abzuweisen und der
wirklichen Tüchtigkeit, die stets die Harmonie
und nie eine Ueberladung, ein Zuviel in der
Kirche duldet, die Aufgabenzustellen. Mancher
Nichtkatholik wäre würdiger dazu als ein Mitglied
katholischer Vereine, das sich auf den
Kunstausstellungen der Katholikenversammlungen
die nötige Menge von Aufträgen holt.
Es fehlt nicht an Bemühungen echter katholischer
und nichtkatholischer Kräfte, doch sie
werden durch List und Stumpfsinn niedergehalten
. Man macht ihnen Versprechen und
hält sie nicht! Ich habe es erlebt, daß ein
junger Mensch in seiner Vaterstadt vom Pfarrer
mit den besten Versprechungen hinauskomplimentiert
wurde, und daß nachher die Arbeit,
es handelte sich um die Ausmalung der Pfarrkirche
, zwei auswärtigen, sich absolut nicht
verstehenden Malern überwiesen wurde. Das
Geschäft wurde aber doch mit vereinten Kräften
gemacht, und es muß dabei gesagt werden,
daß keiner von ihnen auch nur einen Funken
von Persönlichkeit zu offenbaren imstande
war, während der Abgewiesene auf dem in
Betracht kommenden Gebiete bei einem Wettbewerb
in München unter 350 Einsendern
einen zweiten Preis errang.
So wird's gehen, so lange die Kirchenleitung
nicht den Willen hat, echter Kraft und
ehrlicher Kunst die Tore zu öffnen. Die wirkliche
Kraft wird nie das Bedürfnis haben,
über sich hinaus zu schaffen, sie wird sich
im wesentlichen nicht durch Gehilfen oder
mithelfende Meister ergänzen lassen, sie wird
ebensowenig geteilt, gestört sein wollen, wie
der Betende, der sich mit all seinen inneren
Kräften in seinem Kämmerlein zur höchsten
Schönheit und Liebe, zu Gott wendet. — O
ihr kurzsichtigen Gottesgelehrten, die ihr nicht
fühlt, wie heilig ehrliche Kunst ist, ob sie von
Juden, Protestanten oder Katholiken stammt,
wie Gott durch dieselbe reden will, und wie
ihr Gott in euren Kirchen den Mund schließt!
Gott will sich offenbaren durch den Künstler,
der größere Adel und die größere Harmonie
der Natur sollen wieder gefühlt werden durch
den Einklang der Erscheinungen und das Bild
— jeder ehrliche Künstler ist ein Johannes
auf seinem Patmos! Diese Echten, Ehrlichen
zu finden und festzuhalten, das sollte auch
der Wille der Kirche sein! Der verstorbene
Pfarrer meines Heimatortes, unter dessen
Leitung eine schöne Kirche entstand, ließ
seine Predigten über die Bedeutung jenes
Gotteshauses drucken und hat mir dadurch
in meiner frühesten Jugend sehr, sehr viel
gegeben. Später erfuhr ich, daß jener Baukünstler
, der am Rhein manche schöne Kirche
aufwachsen ließ, ein Protestant gewesen sei.
Alles Große befreit und zieht von der
Erde hinweg über unser Menschenschicksal
hinauf in lichtere Gefilde. Nirgendwo ließe
sich das Ideal vom Guten und Schönen besser
verwirklichen als in den Kirchen, wo Glauben
und Ahnen nach Ausdruck ringen, nur sollten
die einzelnen Glaubensgemeinschaften in eine
heilige Rivalität geraten! In den Kultgebäuden
ist wie nirgend sonst das Leben vom
Duft einer reinen Poesie umströmt, aus dem
das edelste und höchste Kunstwerk geboren
werden könnte. Wieder eine lebendige Kunst
gelten lassen, heißt auch das Leben auf anderen
Gebieten in seiner Wahrheit und Schönheit
tiefer erfassen! Bei uns ist das Leben und
die Entwicklung, und aus dem Unreifen soll
sich das Reifere entfalten. Die Reinheit und
Größe einer Kunst, wie sie von den Wänden
und der Decke einer Capella Sistina herabredet
, wird nur von Menschen empfunden,
die selbst innerlich groß und rein sind, von
den freien, im höchsten Sinne sittlichen Menschen
. Ich bin überzeugt, daß die rein und
edel dargestellte Nacktheit, zumal bei unserem
Geschlecht, das sich in seiner Not wieder
darauf besinnt, den Leib der Luft und der
Sonne auszusetzen, viel mehr das sittliche Empfinden
in gutem Sinne beeinflussen wird als
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