Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 67
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-*-4^> JOS. LICHTENBERG: ZUM KUNSTSCHAFFEN UNSERER ZEIT <&ß^

manches Heiligenbild, und wenn auch in der
Kirche erst spät solche Heiligungsmittel verstanden
werden, so könnte man doch in den
Schulen dafür besorgt sein, den Kindern au?
diese Weise die gerade und klare Gesinnung
zu erhalten. Die Jugend, wenn sie die Segnungen
der Natur als Schutzmittel gegen die
Krankheiten des Leibes und der Seele ganz
fühlen wird, wird auf die reinen Darstellungen
des Nackten schauen wie auf Lilien und Rosen.
Im kirchlichen Leben hat der Götze der Unfreiheit
, der Bequemlichkeit den Gott des
Lebens und der Freiheit in den Staub getreten
! — Das freie, ernste Schaffen muß
wieder einsetzen, das bei aller Rücksicht auf
gegebene Bedürfnisse nach Harmonie und Vollkommenheit
strebt, nach jener Einfachheit und
Kraft, die aus dem Grabmal Theoderichs zu
Ravenna, aus dem Aachener Münster, aus
dem Wormser Dom, der Kathedrale von Laon,
aus dem Pantheon des Agrippa, aus den gewaltigen
Architekturen Bramantes und aus Michelangelos
Kapitolpalästen redet. Die alte Kunst
zeigt höchst kraftvolle Werke, die neuere
Kunst zerstört durch eine Ueberfülle von
Ornament das dynamische Element der einfachen
Bauform. Man wird bei vielen Versuchen
fürjüdische, protestantischeundkatholi-
sche Kultgebäude gegenüber den alten, bescheiden
und dochoriginellundgewaltigwirken-
den Bauwerken den Wunsch nicht los, daß
auch unsere Zeit sich wieder auf das Aller
einfachste und Kraftvollste besinnen möge,
dem jeder Schmuck sich in vornehmster Weise
unterordnet. Man scheut die Ausgaben für
einige Fuhren Backsteine, mit denen eine
rechte Tiefe und Kraft erzielt werden könnte,
und gibt dabei Unsummen für allerlei nichts
sagendes Ornament aus.

Das Geniale kehrt überall und zu allen Zeiten
wieder, nur wird es in unserer Zeit durch
die Schulen am tiefsten erschüttert. Da sollte
die Kirche mit vorangehen und eine Schützerin
der besten Kräfte des Volkes werden! Wie
sich an einem Wasserfall, wo das Leben unaufhörlich
rauscht, die stillen und tiefen Menschen
hinsetzen und die Unruhigen ihre Ruhe
suchen, so wird eine lebendige Kunst viele
wieder mit der Kirche versöhnen, die doch
in ihren Zeremonien eine so große Künstlerin
ist. - - Den Nazarenern und ebenso den Beu-
ronern fehlt das Geniale, das Lebendige, Ursprüngliche
. Es mag ja sehr schön geklungen
haben, wenn die Nazarener bei ihrer Arbeit
auf dem Apollinarisberg vierstimmige Weisen
Palestrinas sangen, — doch man merkt es
ihrer Kunst an, daß sich gemütlich dabei
singen ließ. Es fehlt ihr die Größe, die aus

echter Leidenschaft wächst! Die Leute hatten
in Italien zu viel verloren! Ihr Hauptwert
lag in dem Versuch, Ruhe statt Effekt zu
geben, der damals, von den Kunstschulen ausgehend
, die wenigen Keime ernster Bestrebungen
überwucherte.

Es müssen Künstler kommen, deren Kunst
in größter Einfachheit den Menschen auf die
Schönheit und Möglichkeit einer Harmonie
in diesem Leben hinweist! Wir müssen den
Mutund dieFähigkeitentwickeln, unsereigenes
Leben, wo es sich immer erfassen läßt, für
die Erzählung der Heilswahrheiten zu zeigen.

Alles Christliche und Katholische, wenn
es durch das Wesen reiner Kunst hindurchgeht
, findet sich im Reinmenschlichen wieder,
und wenn man aus den Erscheinungen herausfühlt
, daß einer ununterbrochen sein Bestes,
sein Heiligstes hingab, dann wird die Kunst
in ihrer Klarheit fruchtbar für alle Menschen
sein! In der Kunst muß die freie Offenbarung
begnadeter Menschen geduldet werden !
Man muß ehrlicher Kunst mit demselben Ernst
begegnen, die man der Messe als Kunstwerk
gegenüber hat! Sie ist aus der Not zum
Trost entstanden, und so entsteht alles Echte
und Tiefste.

Man redet viel zu viel vom Stil, man sollte
sagen, wie man überhaupt zum Stil kommen
kann, besser noch, wie man gute Wirkungen
erreicht! Nur durch die Liebe, die sich ohne
Wollen immer neu und groß offenbart! Die
Modernen haben selten die Ahnung und das
Wissen für das Entstehen der alten Wirkungen
(man sollte mehr von Wirkungen als von Stil
reden). Mit einem Blick für das Wesen reifer,
alter Kunst, mit einem scharfen Auge für
die Mannigfaltigkeit der Natur ließe sich so
viel verschiedenartige einfache Schönheit erzielen
, als sie die Natur selbst bietet. Und
gerade in der Kirche, wo durch den Zusammenklang
aller Dinge eine größere Harmonie als
im Wohnhause oder in sonstigen öffentlichen
Gebäuden erreicht werden kann, würde ein
Ort zu sehen sein, von dem der Begriff für
das Gesunde und Schöne mit in die Häuser
dränge. Nur sollten nicht Händler, sondern
Künstler, die in Parteiversammlungen und
am Biertisch selten zu finden sind, und die
sich ein reines Empfinden bewahrten, für die
Aufgaben gesucht werden. Sie sind selten,
und sogar ein Papst und ein Kaiser findet
nicht immer die wahren Kräfte. Man sollte
nach echtem Volksempfinden auf die Suche
gehen, man sollte abwarten, was aus freier
Betätigung von Katholiken und Nichtkatholiken
Großes und Schönes entsteht und wert ist,
einen erhabenen Baugedanken als Plastik oder

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