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^3=4^> JOS. LICHTENBERG: ZUM KUNSTSCHAFFEN UNSERER ZEIT <^=^
Malerei zu begleiten. Alles aus Leidenschaft
zu höherem Leben Führende ist religiös. Wie
unvergleichbar wird hier die Kirche in ihren
Gebräuchen zur Künstlerin! Alles wendet
sich darin in edelster Weise an die Sinne!
Es kommt ja nur auf jenen Verbrauch menschlicher
Kräfte an, die zur reinen Freude, zur
ewigen Schönheit führt. Das Gefühl für das
Schöne lebt immer in einer Unendlichkeitsahnung
. Wie alles aus dem Ewigen geformt
wurde ohne uns, so schaffen wir dem Unbegreiflichen
mit unserem Blick für die Vollkommenheit
der Natur alles nach !
Wie derTanzende bei den frühesten Völkern
seine Kräfte des Leibes in reiner Lust dem
spielenden Kinde gleich an die unbegreifliche
Gottheit hingab, so ist das Tanzspiel
der Formen, Farben und Töne noch immer
ein hohes Lied zur Ehre des Höchsten.
Wir, die wir die Natur und die alten Meister
tiefer erfassen konnten, die wir die Echtheit
des Materials fordern und an strenger Form
und Zeichnung festhalten, indem sich uns die
Gesetzmäßigkeit aller Dinge, auch besonders
durch die Fortschritte der Naturwissenschaften,
lebhafter offenbart, die wir die Japaner und
die Schaukräfte der Impressionisten kennen
lernten und von den alten Kölnern und süddeutschen
Meistern zu Puvis de Chavannes
und von dort zu Michelangelo heraufschauen,
die wir an mancher Skulptur unserer alten
Dome mehr Größe und Tiefe der Empfindung
anstaunen als bei den Griechen und Römern
und von da aus die noch größere Einfachheit
der Aegypter liebend erkennen, wir wissen
genau, wie winzig unsere Werke gegen die
Leistungen der alten Meister jetzt noch sind,
doch wir wollen mit unseren Schaukräften
wie sie aus dem Vollen schaffen, wir wollen
zu unserer Höhe hinan, wir möchten wieder
Leben in Rhythmus bannen, Leben, Leben!!
Die Ergriffenheit und die Begeisterung eines
Nichtkatholiken, der als Maler seine Studien
in Weimar bei Ludwig von Hofmann, dann
in Paris und in Spanien machte, vor Matthias
Grünewalds Werken in Colmar (woselbst
mir ein im Schaufenster ausgestellter Steindruck
des Gekreuzigten von Steinhausen die
ganze Schwäche unserer Zeit in besonders
grellem Lichte aufs neue erscheinen ließ)
werde ich nicht so leicht vergessen.
Die reine Sinnlichkeit, die in kirchlicher
Musik, im Marienlied vor allem zum Ausdruck
kommt, muß auch unsere jetzige Kunst wieder
durchdringen. Es fehlt den meisten für die
Kirche Tätigen noch die ernste künstlerische
Selbsterziehung, die wenigsten sind imstande,
ohne Anlehnung an einen alten Meister Form
und Farbe aus der Natur zu holen und für
eine gegebene Aufgabe umzugestalten. Ich
kenne diese Herren, deren ganzes Kapital in
Vorlagewerken besteht, sehr genau!! Gerade
solchen zum Heil sollte man daran denken,
auch nichtkatholischen Künstlern Aufgaben
für die Kirche zu stellen! — Auf einer Schneeschuhfahrt
durch den Schwarzwald traf ich
in Bernau, dem Heimatsort Hans Thomas',
bei der Mittagsrast eine Hochzeitsgesellschaft
JOSEPH WACKERLE
MODELL FÜR BRONZE
(NATURSTUDIE)
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