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ERNST KREIDOLF- MÜNCHEN VORSATZPAPIER ZU „SCHWÄTZCHEN FÜR KINDER"
(VERLAG VON HERMANN & FRIEDRICH SCHAFFSTEIN, KÖLN)
durch das deutscheWesen inderKunstfast völlig
von der absoluten Malerei in den Hintergrund
gedrückt wurde, scheint es jetzt wieder beherztere
Vertreter auch unter den Jüngeren zu
finden; etwa Sohn-Rethel, vielleicht auch Haueisen
, Karl Hofer und einige andere. Zahlreicher
— besonders im Verhältnis zur Kleinheit
des Gaues — sind seine Vertreter in
der Schweiz. Und sie sind es vielleicht auch
ausgesprochener als bei uns im Reich. Unter
Schweizern, die in München schaffen, sind
als die markantesten zu nennen Albert Welti,
der seit einigen Jahren bekannt und anerkannt
ist, und der sich etwas bescheiden im Hintergrund
haltende Berner Ernst Kreidolf.
Diesen in der großen Kunstwelt weniger gekannt
und beachtet zu machen, daran trägt
vielleicht einige Schuld die Stoffwelt, die er
pflegt oder bisher hauptsächlich pflegte, weil
sie ihm am nächsten liegen mochte: das
Kinderbilderbuch. In dieses ziemlich enge
Fach hat man Kreidolf bisher untergebracht
und scheint ihn auch darauf festlegen zu
wollen. Man mag wohl an ihm diese Begabung
finden und sich freuen, daß er sie bisher den
Kleinen so liebenswürdig gewidmet hat. Meines
Achtens aber erkennt man bei genauerem
Studium seines bis jetzt vorliegenden Schaffens
doch Kreidolfs Gebiet als umfangreicher
und tiefer, und man darf wünschen, er möge
dieser Begabung nachgehen und sie im höheren
Interesse der Kunst pflegen und ausbauen.
Die errungenen äußeren Erfolge werden ihm
dazu behilflich sein.
Ein Besonderes liegt im Wesen der Schweizer
Künstler, so weit wir ihr Schaffen auch verfolgen
und betrachten mögen: die unbedingte
Achtung vor dem Objekt, die Gewissenhaftigkeit
gegenüber der Realität, die man fürs
erste so hinnimmt, wie sie sich gibt: kritiklos
, weil an ihr alles vernünftig und keiner
Veränderung oder Verbesserung bedürftig erscheint
. Das lange und eingehende Studium
der Natur läßt Liebe und Ehrfurcht vor ihr
erwachen und in ihr ein Heiliges erkennen,
das zur Religion zwingt: zu einer bewundernden
Unterwerfung unter das, was unserem
Wissen ein Rätsel bleiben muß, unserm Auge
aber, dem innern wie dem äußern, ein nie
endendes Entzücken und Staunen ist. Solch
kritiklose Ehrfurcht vor dem Objekt läßt den
alemannischen Künstler nie an der Realität
zweifeln; er sieht vielmehr in ihr einen unerschütterlichen
Grund, auf den er sich im
kleinsten wie im größten sicher stellen kann;
er gleicht darin noch immer dem altdeutschen
Künstler, der auch weder Zweifel noch Spott
oder Satire am Naturobjekt kannte, und des-
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