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-^sö> ERNST KREIDOLF <^^~
einander fest verbundenen
Naturstimmungsbilder
können ein Drama genannt
werden: ein Schauspiel
mit allen seinen Entwicklungsphasen
bis zum
versöhnenden Schluß,
der in der Regenbogenvignette
zu sehen wäre.
Ich meine, auch hier sei
mit dem Stimmungsgehalt
der einzelnen Blätter
mehr getan, als ein Kinderbuch
verlangt. Auch
die Randleisten (z. B. die
Fahrt der Feuerwehr),
so schön sie in ihrer
Meisterschaft sind, sagen
dem Künstler alles, dem
Kinde zuviel; ebenso das
Waldnachtbild des Vorsatzpapiers
. Wieder ruhiger
, freundlicher und heiterer
muten im ganzen
die „AltenKinderreime",
Kreidolfs letztes Werk,
uns an. Hier ist wieder
vorwiegend Kinderpoesie
. Das „Maikäferlied",
das „Annabäbeli, lupf de
Fuß!", das „Ilse Bilse,
niemand will se" z. B.
erinnern an die naive Einfachheit
der „Schwätzchen
" und der „Blumenmärchen
" ; auch das Vorsatzpapier
zielt ganz in
dieser Richtung und der
Charakter des Kinderbuches
ist vorzugsweise
(und vorzüglich!) durch
die alten, allgemein bekannten
Kinderverse gut gewahrt. Indessen
streben auch hier einige Bilder über dieses
Ziel hinaus und drängen den Künstler auf
das Gebiet, das ihm vielleicht näher liegt,
als das des Kinderbuches, so sehr er in diesem
seine hohe Befähigung bewiesen hat. Ich
erinnere nur an das Nachtbild, in welchem
Gottvater, die Mondampel tragend, durch den
dunklen Himmel schwebt. Hier haben wir
jene Phantasiekunst, zu der viele Schweizer
vom herben Realismus aufsteigen und ihre
Hauptkraft zeigen: Sandreuter, Böcklin,
Welti, Jean Bossard. Sie tun jenen konsequenten
weiteren Schritt über das Modell
hinaus, der den Begriff der Natur (in der
Kunst) nicht schmälert, sondern erweitert und
Sd)led)t SBetter.
„grau Butterblume, finb Sie 311 §aus?
OTeine ©ütc, roie fiefjt bie 2Belt t)eut aus!
Stiles oerrcgnet; faum müglid) 3U fliegen,
ftarm id) ein SBiertel SButtet friegen?"
Siebes gräulein Sjummel, bas tut mit leib;
mein fiaben i[t bei 5Regen3ert
ein für allemal ge[ä)loffen.
Weine Söorratsiörbe finb feine ©offen!
Unb tDenn Sie meinen fjonig 93utter nennen —
„9lber fiiebfte, Sie roerben mid) bod) fennen!
3d) roeifo, 3F)r Sjonig ift ber allerfein[te unb befte
Darum fomm' id) ja mit nafjer Söefte
in all bem 2Better Ijergeflogen;
id) f)abe ftets nur ddh Sfjnen be3ogen
So!? 2Bo roaren Sie benn geftern?
2tIIe ©eoatterinnen unb Sd)roeftern
fjaben bjet fleißig eingepaeft,
gefudjt unb gefammelt, gefädelt, gefaeft;
fperrangelroeit offen [tanb id) im Sonnenfd)ein,
SBenn's aber regnet, barf niemanb fjerein,
am allerroenigften — 3a ~~: nur ab, faule Sjummel
brumm nur! bas fommt 00m §erumgebummel!
Du (Elel, id) bin nid)t bein Sutterfafj
Unb fommft bu morgen roieber, bann pujjff id)
ERNST KRE1DOLF-MÜNCHEN SCHLECHT WETTER
(AUS „DER BUNTSCHECK". VERLAG VON HERMANN & FRIEDRICH SCHAFFSTEIN, KÖLN)
vertieft, indem die Künstler ihn durch die
Seelenkräfte und das Unbewußte im Menschen
bezirken: durch die unkontrollierbare Phantasie
, statt durch die bloße sinnliche Wahrnehmungskraft
des Auges, die mehr oder
minder nur zu einer gewissen äußeren
Technik führt.
Die reine Phantasiekunst Kreidolfs zeigt
sein Aquarell: „Das Hundeschlummerlied",
das letztes Jahr in Köln ausgestellt war und
heuer auf dem Schweizer Turnus vom Bund
angekauft wurde. Auch die „Fischpredigt"
weist schon dahin, obwohl hier die realistische
Landschaft noch das Uebergewicht hat. Außerordentliche
Traumkraft aber findet man in
der so einfachen und doch so tief poetischen
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