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EIN KIRCHENBAU VON OTTO WAGNER
Wien bekehrt sich allgemach zu Otto Wagner
, dessen Bedeutung als selbstherrlich
in seiner Zeit wurzelnder Baukünstler
vielen erst sein neuestes Werk erschlossen hat.
Das Gefallen an den Wohnhäusern längs der
Wienzeile mit ihrem Fassadenschmuck wurde
durch mißverstehend öde Nachahmer, die
allüberall sich breit machen durften, wie durch
Zerrbilder verärgert, auch das Originale bei
der architektonischen Ausgestaltung der Stadtbahn
blieb im Gedächtnis nur weniger ihrer
Fahrgäste als eine ästhetische Tat bestehen;
die Menge vergißt gar schnell nach einem
obenhin getanen Blick, der jüngst erst wieder
an dem Postsparkassengebäude nurdas Aeußere
mit dessen nüchternem Bekenntnis, dem geschützten
Geldverkehr zu dienen, nicht den
innern Organismus beurteilte, auf dem das
eigentliche Wesen beruht. Nun machte aber
schon seit einem Jahre die Oriflamme einer
vergoldeten Kuppel höher aufschauen, da sie
von dem Hügel eines entfernteren Stadtbezirkes
herübergrüßt zu dem Nadelturm des Stefansdoms
und zur barocken Gruppe der Karlskirche
. Und niemand betritt jetzt die neue,
darunter geborgene Kirche, ohne den Sinn
ihrer Raumkunst zu verspüren; ein Stück der
grenzenlosen Unendlichkeit mußte die Form
annehmen, dass man unter Dach und Fach
doch die Weite fühlt, dahin die Seele schwingen
kann, so weit in Zeit und Ewigkeit ihr Glaube
sie trägt.
Das für einmal gelöste Problem hat Otto
Wagner schon lange beschäftigt; eine im
Jahre 1899 veröffentlichte Studie „Die Moderne
im Kirchenbau":;:) klang ziemlich pessimistisch
aus, nachdem eben bei der Konkurrenz für
die Jubiläumskirche der von einigen seiner
Schüler unternommene Vorstoß gegen die
Nachahmer historischer Stile er folglos geblieben
war. Wagners damals angefertigtes Idealprojekt
, auf das sich seine Ausführungen bezogen
, ist wie so manches andere auf dem Papier
geblieben. Aber was er theoretisch zugunsten
der Moderne vorgebracht hatte, wurde Satz
für Satz praktisch verwirklicht, als ihm der
Landtag die Baudurchführung der Kirche für
die niederösterreichischen Landes-Heil- und
*) Sie ist im dritten Bande einer großangelegten
Publikation enthalten: Einige Skizzen, Projekte und
ausgeführte Bauwerke von Otto Wagner. Verlag
von Anton Schroll & Co., Wien.
Pflegeanstalten zubilligte. Als Ersatz für das
veraltete Irrenhaus wuchs sich diese Anlage
nach dem Pavillon-System zu einer „Stadt"
aus, über deren sechzig Gebäuden die Kirche
dominieren sollte. Darum wurde über den
Hauptkörper des Gotteshauses anstatt der üblichen
kostspieligen Turmkolosse eine durch
ihren Glanz die Höhe betonende Kuppel gesetzt
, die Billigkeit des mit allen modernen
Hilfsmitteln errichteten Baues war übrigens
ein Hauptargument, an das man kaum mehr
denkt, wenn man jetzt die Marmorplatten sieht,
die den Mauerkern verkleiden, und überall
das blanke Metall, welches mit der Wetterbeständigkeit
den Vorzug vereint, zugleich
als Schmuck zu dienen. Wie beim Postsparkassenpalast
zeigen die Tafeln der Marmorinkrustation
, diesmal auf vermittelnden stärkeren
Riemenschichten, als Ziermotiv die dort
aus Aluminium, hier aus Kupfer hergestellten
Knopfendigungen der eingeschraubten Eisendorne
. Das und ähnliche Details blieben dem erfinderischen
Sinne des Baukünstlers überlassen.
Eine grundlegende Forderung, der er sich
unbedingt fügen mußte, war die Rücksicht
auf die Hygiene, welche ja im allgemeinen
selbstverständlich ist, für den besonderen Fall
aber damit zu rechnen hatte, daß Kranke,
und zwar in ihrem Gemüts- und Geistesleben
gestörte, von dem zu schaffenden Andachtsraum
beherbergt werden sollten.
Daraufhin ist der Gesamtplan zu betrachten,
wie er sich schon nach außen als ein lateinisches
Kreuz mit kurzen Schenkeln kundgibt
, in strengen einfachen Umrissen, auf
denen sich keine sinnlos angebrachten Ornamente
breit machen. Es begleiten bloß eherne
Kränze das Gesimse, über dem Vordach des
Haupteingangs halten in Kupfer getriebene
Engel (von Othmar Schimkowitz) auf Säulen
Wache, die abgestuften niedrigen Glockentürme
krönen die sitzenden Statuen (von
Richard Luksch) der Landespatrone, der
Heiligen Leopold und Severin, als treue Wardeine
über Land schauend. Wenn man durch
die Vorhalle unter dem Orgelchor das Innere
der Kirche betritt, rührt der erste bestimmende
Eindruck von der ungewohnten Helligkeit
her. Die Hygieniker hatten möglichst
viel Luft und Licht gefordert, um mit diesen
elementaren Arzneien den Krankheitskeimen
wirksam begegnen zu können. Nicht allein
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