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-^^> EIN KIRCHENBAU VON OTTO WAGNER
die Ventilationsanlagen und die, wenn das
Tageslicht der großen Seitenfenster im Winter
nicht ausreicht, in Tätigkeit gesetzten elektrischen
Lampentrauben suchen jener Voraussetzung
des architektonischen Plans Rechnung
zu tragen. Die Weiträumigkeit der
Kirche ist für die 800 Personen, die sie aufzunehmen
hat, überreichlich bemessen, und
die farbige Haltung vermeidet alle trübende
Buntheit. Sie ist auf die Wirkung von Weiß
und wenigem Gold gestellt: über der Marmorverkleidung
der gewellten Stuckflächen, welche
ebenso wie alle abgerundeten Ecken die
Schallwellen nicht reflektieren, sondern zerstäuben
, so daß neben den optischen auch
die akustischen Forderungen befriedigt werden,
denn nicht minder bequem als von jedem
Platze aus der Hochaltar zu sehen, ist der
Prediger zu hören.
Ueber dem schon erwähnten Grundriß eines
Kreuzes mit wenig verlängertem Vorderarm,
über dem einschiffigen Zentralbau erhebt sich
auf vier, nur auf Druck in Anspruch genommenen
Doppelpfei-
lerndieKuppel. Aber
an der Eisenkonstruktion
des äusseren
Kuppelbaues
hängt innen eineZier-
decke, nicht nur aus
praktischen Gründen
, weil sich derart
ein wohl auszunützender
Manipulationsraum
ergeben
hat, durch die innere
Wölbung ist vielmehr
das Verhältnis
der Höhe zur Breite
auf die einfachste
Formel des gleichen
Ausmaßes (1 : 1) gebracht
worden. Wagners
Ueberzeugung
geht ja dahin, daß die
Moderne keine abnormen
Höhenverhältnisse
verlangt
und sich mit Raumabschlüssen
nach
oben begnügt, welche
sich dem Auge ohne
Anstrengung darbieten
. Und noch einer
seiner altbekannten
Leitsätze, auf die er
immer wieder zurückkommt
, sei hier qtto wagner
angeführt: „Die Baukunst unserer Zeit sucht
Form und Motive aus Zweck, Konstruktion
und Material herauszubilden. Sie muß, soll
sie unser Empfinden klar zum Ausdruck
bringen, an sich möglichst einfach sein.
Diese Formen sind sorgfältig untereinander
abzuwägen, um schöne Verhältnisse zu erzielen
, auf welchen beinahe allein die Wirkung
von Werken ,unserer Baukunst' beruht."
Darum verhehlt die Zierdecke keineswegs ihre
Konstruktion, deren Gerippe von zarten T-Trägern
, die zwischen die Rabitzplatten eingelegt
sind, sichtbar bleibt und ein dekoratives Netz
über die Wölbung knüpft. Darum auch sind die
Größenverhältnisse der Figuren zur menschlichen
Gestalt an den Bildern und Fenstern
die gleichen, nichts an den bildlichen Darstellungen
darf die Gesamtwirkung eines wohlerwogenen
Maßstabes beeinträchtigen. Ganz
außerordentlich sind Koloman Moser die
beiden großen Seitenfenster gelungen; sie
wurden in bloß andeutender Koloristik, während
sie vom Künstler als lediglich lineare
Füllung geplant waren
, aus durchsichtigem
Glasmosaik —
ohne nachhelfende
Malerei — zusammengesetzt
: je sieben
Gestalten der
Heiligengeschichte
und der Bibel, als
Repräsentanten der
geistlichen und leiblichen
Werke der
Barmherzigkeit, auf
welche die mit vollendetem
Geschmack
angebrachten Legenden
hinweisen, dann
Engel, ornamental in
den seitlichen Fensterteilen
, in glorreicher
Farbenfreude
und schwungvoll die
im Bogenfeld darüber
. Alle Pracht
sollte der Altarwand
vorbehalten bleiben,
für die ein in neuartiger
Technik auszuführendes
Flächenmosaik
aus verschiedenem
Material
schon entworfen war.
Doch der Einspruch
des liturgischen Bei-
monstranz rats verhinderte die
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