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CARL MELVILLE-CASSEL
RUHESTATTE DER FAMILIE HACKLANDER IN CASSEL
und zwei Entwürfe für ein Kriegerdenkmal
der kleinen hessischen Stadt Frankenberg geschaffen
, die sein starkes plastisches Empfinden
erkennen lassen und zeigen, wie der
Künstler allmählich aus seinem bisherigen
Schaffensgebiet in das der großen monumentalen
Kunst hineinzuwachsen beginnt.
Für dieses Emporsteigen ins Monumentale
ist aber eines unerläßlich, das glücklicherweise
Melville auch besitzt, die Fähigkeit,
das Werkstück selbst mit Meisel und Schlägel
zum Kunstwerk zu wandeln. Unter seiner
feinfühlenden Hand holt der Meisel alles
Leben und alle Reize aus dem Stein, die sein
vornehmer Künstlersinn dem Werk mit ins
Dasein geben wollte. Sein starkes handwerkliches
Gewissen, sein feines Materialgefühl,
ein sicheres Empfinden für die inneren und
äußeren Eigenschaften und Unterschiede der
Rohstoffe seiner Kunst, Stein, Metall und Holz,
lassen ihn stets das zur Ausführung geeignetste
Material mit schnellem Blick erwählen.
EinekleineKunstgießerei, die ProfessorCARL
Bernewitz, Melvilles Landsmann und früherer
Lehrer, ins Leben gerufen hat, und die in der
neuen Kasseler Kunstakademie erweitert werden
soll, wird es Melville ermöglichen, seine
Bronzen in Zukunft selbst zu gießen, wie er sie
bisher selbst ziseliert und patiniert hat, so daß
nur seine Hand allein ihren Werdegang vom
Wachsmodell bis zum fertigen Kunstwerk
leitet. So wird der Kreis des Werdens seiner
Werke wieder geschlossen sein wie in den alten
Künstlerwerkstätten der höchsten Blütezeiten.
Durch einen Zufall ist das in Melville
schlummernde Künstlergenie geweckt worden,
als er bei seinem Studium in Leipzig in den
Hörsaal des feinsinnigen Kulturhistorikers
Carl Lamprecht geriet, der den jungen Studenten
so zu begeistern wußte, daß er dem
lange schon gefühlten künstlerischen Drange
nachgab und die Wissenschaft mit der Kunst
vertauschte. Ein Zufall führte ihn, der seinem
früheren Lehrer folgte, in die „Kunststadt"
Kassel, wo er, bar jeglicher Anregung von
außen und fast ohne jeden Auftrag, ganz auf
sich selbst gestellt, ein Eigener wurde. Möge
ein glücklicher Zufall ihn nun an eine sein
vornehmes Wesen und feines Können vertie-
fendeWirkungsstätte geleiten, die seiner künstlerischen
Sehnsucht befreiende Erlösung bringt!
Dr. Hermann Warlich
LESEFRÜCHTE:
Jede Geschmacksfrage ist so ernst zu nehmen wie
die Fragen der Politik, der Religion, der Ethik und
des Rechtslebens, und wie es in sittlichen Dingen nicht
auf die Größe der Handlung, sondern nur auf die
Gesinnung ankommt, die ihr zugrunde liegt, so ist es
auch in Fragen des Geschmacks ganz belanglos, ob
hier um große oder kleine Dinge gekämpft wird.
(Aus : Habe ich den rechten Geschmack ?) Dr. Paul Johannes Ree
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