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OBRISTS NEUES URNEN-GRABMAL
Nur einige Worte zu der neuesten Schöpfung
Hermann Obrists.
Unsere Abbildung gibt von dem tektonischen
Aufbau, den Silhouetten des Grabmals klaren
Begriff. Die Behandlung des roten Veroneser
Marmors, aus dem das ganze Werk gebildet,
läßt sich auch einigermaßen aus dem schwarzen
Bild erkennen. Durch Wechsel von rauh und
glatt, durch roh aber naturgemäß behauene
Stellen neben polierten Flächen, durch Wölbung
und Höhlung, Rundung und gradlinigen
Flächenabschluß wurden rhythmische Akzente
dem symphonischen Aufbau des Grabmals gegeben
, wie wir bisher in gleichem Reichtum
bei Obrists Werken noch nicht gesehen haben.
Und wie er hierin — in der äußeren Behandlung
des Gesteins — uns eine Steigerung
und Verfeinerung seiner künstlerischen Art
gibt, so redet auch der Aufbau im ganzen
wie im einzelnen von höchst erfreulicher, ja
überraschender Entwickelung und weiterer
Entwickelungsmöglichkeit der starken persönlichen
Kunst Obrists.
In unserer Zeitschrift wurde schon mehrfach
eine Analyse wie eine Synthese des
Wesens OßRisTscher Schöpfungsart zu geben
versucht, wie er ein Stilist gewaltiger Naturbildungen
zu nennen ist, mit welcher Einfachheit
er die zerstörenden, arbeitenden, gestaltenden
Kräfte der Natur gerade im Gestein
zu bilden vermag.
Er ist darin ein einziger — und wenn ihm
nun schon andere folgen, so ist das ein Gewinn
der Kunst, mit dem uns nur ein Denker
und Naturseher von so großer Selbständigkeit,
von so schlicht-phantastischer Gestalterkraft
wie Obrist begaben konnte.
Darf Obrist als Schöpfer von Grabesurnen
den Vergleich mit allen Urnen, die in den Jahrhunderten
vor uns geschaffen, nicht scheuen, so
hat er uns doch noch nie mit so edlen, feinen
Urnen wie diesen, die hier aus dem rohen
Gestein heraus geschaffen, beschenkt. — Immer
gab und gibt er in seinen Urnen dem Gedanken
des Todes unnahbare Würde und eine
Form, die sich ohne weiteres als Symbol
ewiger Ruhe erklärt. Diesmal zeichnete er
seine Urnen noch durch einen naturerwachsenen
Adel aus, der den Gebrauch des Wortes
elegant nahelegt — aber verbietet: denn „Eleganz
" setzt überall sonst Wahl aus vorhandenem
voraus. Hier ist aber Gabe, nicht Wahl;
Obrists Kunst verrät gerade in den letztgeschaffenen
Urnen den Adel der Autochthonen.
Ich weiß sehr wohl und finde durchaus
nichts überraschendes darin, daß Obrists Art
von seinen Kollegen, wie von platonischen
Kunstfreunden stark bemängelt wird. Künstler
sind immer noch weniger als Laien fähig gewesen
, neuen Gebern gerecht gegenüber zu
treten. Und die Theoretiker sind Obrists
Werken gegenüber hilflos, weil sie meinen,
eine künstlerische Schöpfung müsse entweder
Plastik oder Architektur zu nennen sein — aber
beide Bezeichnungen für eines gehe nicht an.
Möchte das Werk auch mit dem verglichen
werden, was Obrist bisher geschaffen hat.
Das wird nicht nur von den Möglichkeiten
seiner Entwicklung überzeugen, sondern von
der Förderung solcher Neuschöpfungen für
unsere Kunst überhaupt.
In Pankok hat Obrist einen Verwandten,
im jungen Zeichner Klinger sind Ansätze zu
gleicher naturmäßiger Gestaltung da und dort
zu finden, die der eigenen Erscheinung Obrist-
scher Kunst eine nicht unwesentliche Stütze
geben: In der Kongruenz gewisser Ideen möge
der feine Zusammenhang seiner Kunst mit
noch fast verborgenen Empfindungserscheinungen
der Gegenwart und damit das Recht
auf die Zukunft erkannt werden. Werken
neuen Geistes, wie solchen Obrists oder Pan-
koks gegenüber handelt sichs nicht nur um
ein Ansehen — ein ganzes Einsehen verlangen
sie als erste.
Das Werk wurde in München geschaffen -
in Münchens künstlerischer Vorstadt Schwabing
. — Aber es wird und darf keinen der
Münchener Friedhöfe zieren. Es kommt als
Bestellung eines wirklich künstlerisch und
frei empfindenden Deutschamerikaners unter
Zypressen des Südens zu stehen auf den Friedhof
zu Lugano. — Wie würde der Gehalt des
Werkes durch Bäume unserer Wälder unterstützt
• wie gäbe es einem deutschen Waldfriedhof
Ausdruck kerniger, natursinniger Art!
Möchte München nicht zu spät einsehen,
daß die Sanktionierung einer künstlerischen
Uniformität des Ausdrucks — und gehe dieser
Regelzwang auch von den Besten aus — noch
alle Kunststädte zum Ruin geführt hat. Neuschöpfer
haben seitens der Menge noch
immer einen schwer angefochtenen Stand
gehabt. Künstler aber sollten gerade in Werken
neuer Form die ewige Entwicklungsfähigkeit
der Kunst mehr begrüßen als unterbinden
.
E. W. Bredt
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