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-S5-Ssö> DIE PFULLINGER HALLEN
Während die Nord wand durch die drei unmittelbar
ins Freie führenden großen Türen und
die nahe unter dem Gewölbe angebrachten fünf
Bogenfenster unterbrochen wird, bildet die ihr
gegenüberliegende Wand ein einziges großes
Tor, in seinem obersten Teil verglast, unten
durch eine hohe vielflügelige Holztür geschlossen
, die geöffnet werden kann, wenn
in besonderen Fällen Konzert- und Turnsaal
einen einzigen Raum bilden sollen.
Gewöhnlich aber betritt man die Musikhalle
durch eine der drei Türen vom Vorsaal her,
deren Lünettenmalerei ebenso wie die
anmutig strengen Figuren über den Notausgängen
— gleichfalls von E. Pfennig herrührt.
Und wenn das Aeußere des Hauses, wenn
Turnsaal und Vorhalle schon jeden erfreuen
müssen, der empfänglich ist für Wesen und
Wirkungen echter Architektur, beim Eintritt
in den Konzertsaal wird niemand, auch der
Stumpfste nicht, unergriffen bleiben. Völlig
zwingt uns hier die Raumkunst, die das Schaffen
der Schwesterkünste Architektur, Malerei,
Skulptur zu gemeinsamem Werk zusammenfaßt
, in ihren geheimnisvollen Bann. Wir
fühlen, mit einer reinen Andacht der Sinne,
gleichsam den Raum von uns Besitz nehmen,
ihn unsere Seele erweitern nach dem schönen
Verhältnis seiner Maße, unser Inneres erfüllen
mit seinem gleichmäßig klaren Licht
und der gehaltenen Farbenharmonie seiner
Wände. „Wenn es dem Architekten nicht
gelingt," hat Theodor Fischer selbst geschrieben
, als er sein Ideal eines Volkshauses
schilderte, „allein mit der Stimmung seines
Raumes den Mann zu zwingen, den Hut abzunehmen
, und die Frau, ihre Stimme zu
zügeln, ist er für diese Aufgabe nicht geschaffen
." Ihm ist es gelungen, in seiner
Pfullinger Konzerthalle einen solchen, die
Menschen zu Respekt und Ehrfurcht zwingenden
Raum zu schaffen.
Es hieße jedoch, zugleich das Wesen der
Raumkunst verkennen und Undank üben,
wollte man über dem Verdienst des Architekten
die Leistung der andern Künstler vergessen
und verschweigen, dieihm seine Wände
ausmalten. Und doppelt gern sei auch hiervon
in Kürze berichtet, weil dabei von einem
so harmonischen, künstlerisch selbstlosen Zusammenwirken
erzählt werden kann, wie es
leider in der Geschichte von Künstlern und
Kunstwerken nicht eben häufig vorkommt.
Für die malerische Ausschmückung des
Saales war Professor Adolf Hoelzel, Graf
Kalchreuths Nachfolger an der Stuttgarter
Kunstschule, ausersehen. Professor Hoelzel
aber, so verlockend ihm die Gelegenheit erscheinen
mußte, seine seit Jahren durchdachten
und in Werken kleineren Umfangs
mit Glück erprobten Grundsätze einmal im
Großen bei der Durchbildung eines ganzen
Raumes anzuwenden, verzichtete auf diese Aufgabe
und wies sie vier jungen Künstlern zu,
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