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-s^=ö> PAUL SCHULTZE-NAUMBURGS BAUTEN <ö^~
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PFARRHAUS HILSBACH (BADEN)
harmonisch in einer vertrauten Umgebung
wohlbekannten Geschäften nachzugehen, wenn
Unfähige, mit der gestellten Aufgabe Unverwachsene
, zu wichtigen Entscheidungen und
Gestaltungen berufen werden, wie das in Beamtenstaaten
und politisch regierten Gemeinwesen
häufig der Fall ist, oder wenn Eigennutz
, Habsucht, Eitelkeit, Prahlerei in uns
überwiegen, oder wenn beginnende Geisteskrankheit
sich noch in Schöpfungen ausspricht,
oder wenn übersättigte und verbildete Leute
nach neuen Nervenreizen ausgehen und sich
von talentvollen Künstlern bedienen lassen,
die selber durch eine übermäßige Beschäftigung
mit derKunstimmerstärkererund fremdartiger
Reizungen bedürftig geworden sind.
In jedem solchen Falle möchte Schultze-
Naumburg die natürliche und gesetzmäßige
Gestalt verteidigen und wiederherstellen.
Um welche Dinge handelt es sich? Um
alles Sichtbare beinahe: um Berge und Täler,
Dörfer und Städte, Flüsse und Seen, Wälder
und Gärten, Straßen und Plätze, um Gebäude
, Möbel, Geräte aller Art, um Kleider
und Schuhe. Es ist vielen bekannt, daß
Schultze-Naumburg ein paar Jahre gegen
den Geschmack der Schneiderinnen und Modedamen
, gegen die Interessen der Schnürbrustfabrikanten
und auch gegen die Fußverkümmerer
und Zehenquetscher einen fröhlichen Feldzug
geführt hat. Manche Frau ist von ihm
bewogen worden, ihrem Leibe Raum und Kraft
zu gönnen. Seine andauerndste Arbeit hat
unser Künstler jedoch dem Landschafts-, Dorf-
und Städtebild, den Gebäuden aller Art zugewandt
. In fünf starken
Büchern, die er als „Kulturarbeiten
" zusammenfaßt
, bespricht und illustriert
er Hausbau, Gärten
, Dörfer und Kolonien,
Städtebau und Kleinbürgerhäuser
, und hundert
viel gelesene Aufsätze
hat er über dieselben
Gegenstände in Zeitschriften
veröffentlicht.
Alle seine Kritik war
und ist stets positiv.
Er kämpft nicht aus Lust am Kampfe oder
um seine Geschicklichkeit, seinen Witz, sein
Besserwissen zu zeigen; es ist ihm immer
nur um die Sache zu tun. Er hat zwar tausend
Bauwerke an den Pranger gestellt, aber er
hat nicht den Namen des Sünders oder auch
nur den Ortsnamen hinzugeschrieben. Er ist
nie darauf ausgegangen, einen Mitmenschen
öffentlich bloßzustellen. Er hat sich immer darauf
besonnen, daß den einzelnen ästhetischen
Verirrungen eine allgemeine Schuld zugrunde
liegt. Eine Zeitlang hat er vielleicht zu
sehr auf die Baugewerkschulen gescholten,
jetzt wird er zugeben, daß auch ihre Leiter
und Lehrer zu ihren Irrtümern nicht ganz
selbständig und unabhängig gelangten, und
daß sie seit Jahren bereit sind, an der Besserung
mitzuarbeiten. Es ist bemerkenswert,
wie wenig Gegenhiebe gegen diesen unermüdlichen
Kritiker Schultze-Naumburg geschehen
; in eine längliche oder heftige Polemik
ist er überhaupt nie verwickelt worden. Er
wäre freilich auch zu klug, um seine Kraft,
die hundert besseren Aufgaben zugedacht ist,
an Streitereien hinzugeben.
Positiv war seine Kritik auch dadurch, daß
er nie das Schlechte rügte, ohne zugleich das
Bessere zu zeigen. Er stellte stets die Gestalt
neben die Ungestalt. Niemand hat vor
ihm so sehr wie er das photographische Bild
zu einem Bestandteil von kritischen Aufsätzen
gemacht. Dadurch gab er für seine Anklagen
und Rügen immer zugleich ein Beweismaterial
, gegen dessen Richtigkeit sich nicht
aufkommen ließ; er war aber, wie gesagt, auch
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