Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 235
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-s^3ö> PAUL SCHULTZE-NAUMBURGS BAUTEN <^-*~

stets bemüht, das natürliche Gebilde neben dem
Verbildeten zu zeigen, so daß sich beide gegenseitig
vor unsern Augen erklären und beleuchten
. „Beispiel" und „Gegenbeispiel" nannte er
seine Bilderpaare; mancher hat ihm diese anschauliche
und wahrhaftige Lehrart nachgemacht
, und das war ein erfreulicher Fortschritt
im öffentlichen freien Unterricht.

Ihr Urheber hatte durch diese vortreffliche
Lehrart nicht nur manchen Erfolg, sondern
auch einen andauernden Verdruß. Er kam
durch sie zu seiner zweiten Etikette: „Biedermeierstil
". Sein Kampf ist ja gegen heutige
oder jüngst vergangene Irtümer gerichtet;
wollte er nun photographisch zeigen, daß die
Landschaft, die Straße, der Platz früher besser
aussah, so mußte er den älteren Zustand rühmen
. Und ebenso mußte er den heutigen
Gebäuden ältere Bauten, am besten aus der
nächsten Nachbarschaft, zur Seite stellen und
andeuten, daß wir Heutigen in all unserer
Herrlichkeit uns vor unsern Großvätern und
Urgroßvätern zu schämen zuweilen Ursache
haben. So erschien er denen, die nicht genau
zusehen - und das ist die Mehrheit —
als ein Lobredner der Vergangenheit, als ein
Gegner des lebendigen modernen Lebens, als
ein reaktionärer Romantiker, der Schillers
Satze „der Lebende hat recht" die Meinung
entgegenstellen möchte, daß der tote Großvater
und die längst selige Großtante recht
gehabt haben. Wir nennen die Zeit dieser
Großväter und Großtanten, wenn wir an ihre
Kleidung, ihre Stuben, Häuser und Gärten
denken, die Biedermeierzeit
; so entstand also
der Eindruck: Schultze-
Naumburg wolle den Biedermeierstil
wieder einführen
.

Nun hat er, was gerade
von ihm nicht ganz vorsichtig
war, öfters ausgesprochen
, welcher ganz
besondere Wert jener
Bild und Bauweise unserer
Großväter und Urgroßväter
zukommt. Wir
begehen allemal eine
Schlechtigkeit, wenn wir
diese Formensprache als
„ Biedermeierstil " bezeichnen
; mit demselben
Recht könnten wir unsere
Tagesschriftsteller beständig
„Wippchen" oder
„Schmocke" nennen. Der
gerechte Name für das,

was gemeint wird,wäre: der „bürgerliche Stil",
denn er entstand im Gegensatz zum Stil der
Fürstenschlösser und reichsten Adelssitze. Er
war die Ausdrucksweise der neuen sozialen
Schicht, die damals für diebildende Kunst Sinn
und Mittel bekam, des neuen Bürgerstandes, der
sich zu gleicher Zeit in zähem Kampfe eine Mitverwaltung
im Staate errang, der auch inWissenschaften
und Künsten so viel Neues und Bleibendes
schuf, daß wir Heutigen Mühe haben
werden, siezu übertreffen. Von diesen „Biedermeiern
" stammen die meisten von uns, die wir
uns heute um ästhetische Dinge kümmern,
leiblich ab. Wir haben große Stücke unserer
Kultur von ihnen, sogar auch die ersten,
schwersten Anfänge der Technik, auf deren
Leistungen manche jetzt so stolz sind; wir
leben in einem bürgerlichen Rechtsstaat, den
sie den Fürsten und Herren abgekämpft haben.
Warum sollte denn dieser erste, echt bürgerliche
Stil von uns ein mitleidiges Lächeln oder
gar Spott verdienen? Im Gegenteil muß er
historisch der Ausgangspunkt für den größten
Teil unserer heutigen Architektur und Gewerbekunst
sein, denn er bezieht sich seinem
Ursprung nach auf die Wohnzimmer, Möbel,
Häuser und Gärten von Bürgern, und darauf
beziehen sich doch auch drei Viertel aller
Aufgaben, die unsern jetzigen Künstlern gestellt
werden. Wer diesen Stil auch für Fürstenschlösser
, Parlamentsgebäude und Kathedralen
empfehlen wollte, beginge in der Tat
eine Biedermeierei; wer aber in bürgerlichen
Stadt- und Landhäusern jeden Anklang an

ENTWURF ZUM WOHNHAUS Dr. LEHMANN IN GUBEN

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