http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0258
-s*-^> PAUL SCHULTZE-NAUMBURGS BAUTEN -C^^
VERANDAVORBAU AM HAUSE MENDELSOHN-BARTHOLDY IN POTSDAM
diesen Stil zu vermeiden sich bemüht, versucht
eine Widernatürlichkeit.
Vor jeder übermäßigen Liebe zu altvaterischer
Formensprache ist nun gerade Schultze-
Naumburg innerlich beschützt. Er hat allerdings
die Eindrücke, die er in der Kindheit von
schönen Stücken seiner häuslichen Umgebung
empfing, in freundlicher Erinnerung, hat also
ein Pietätsverhältnis zur altmodischen Bürgerkunst
, wie er auch eine Kindesliebe zu seiner
schönen Heimat an der Saale hat; er ist nicht
vaterlandslos und wurzellocker und möchte
sich auch nicht als ein elternloser Von-Vorn-
Anfänger gebärden. Er weiß aus der Kulturgeschichte
, wie viel Großes,Starkes und Schönes
zur Zeit Goethes und Beethovens in deutschen
Landen Blüten und Knospen trieb, und er genießt
die Werke dieses Zeitalters gern. Aber
er ist zugleich ein ehrlicher Liebhaber der
Gegenwart und läßt keine „moderne Errungenschaft
" ungenossen und unbenützt. Er
schlägt sich in frischester Kraft mit den Aufgaben
des Tages herum, und ihm ist dabei
wohl wie dem Fisch im Wasser. Keine freundliche
Erinnerung an einen guten Großoheim
reizt ihn, heute noch wie dieser mit dem
Gänsekiel zu schreiben, ja selbst eine Stahlfeder
ist in seiner Arbeitsstube schon nicht
mehr zu finden. Er würde in keiner Wohnung
auf Fernsprecher, Haustelephon und
elektrisches Licht verzichten; ein paar Automobile
hat er schon wieder durch Wagen aller-
neuester Konstruktion ersetzt, und sicherlich
wird er zu den ersten Künstlern gehören, die
ihre Reisen im eigenen Luftschiff besorgen. Es
wird sich bei ihm auch lohnen, da er jetzt
jeden zweiten Tag der Eisenbahn tributpflichtig
ist. Er sucht also das Beste vom Alten und
Neuen in seinem Leben und Wirken zu vereinigen
und möchte weder auf das Automobil,
noch auf das Reitpferd verzichten. Zu biedermeierischer
Gesinnung neigt er auch insofern
nicht, als es ihm nicht gegeben ist, in
knappen Verhältnissen, in drei Mansarden-
stübchen bei dünnem Kaffee an der eigenen
Zufriedenheit sein Vergnügen zu haben; er
würde nach seinen Liebhabereien viel eher
zum Herrn eines ländlichen Schlosses passen,
und der Barockstil stimmt mit seinem Charakter
besser überein als die kleinbürger-
236
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0258