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zeigt zugleich Schultze-Naumburgs besondere
Neigung und Begabung; sie geht durchaus
auf das Wohn haus, genauer auf das Wohnhaus
im Garten oder am Garten, und noch
genauer auf das Gartenschloß oder die Gartenvilla
des wohlhabenden Mannes. Diese besondere
Neigung und Aufgabe, und nicht etwa
das ästhetische Glaubensbekenntnis, unterscheidet
seine Formensprache von derjenigen
anderer großer Baumeister der Gegenwart. Von
den Bauten Messels und Theodor Fischers
haben wir ganz andere Eindrücke, als von denen
Schultze-Naumburgs, weil sieauf ganz andere
Zwecke gerichtet waren; der Stil aber ist im
Grunde derselbe: der Sach- oder Aufgabenstil
. Ein Landhaus von Messel wird von einem
Landhause Schultzes sich nicht wesentlich
unterscheiden.
Was nach meiner Meinung an Schultze-
Naumburg am höchsten zu schätzen ist, habe
ich nun berührt: sein bewußter Verzicht auf
jeden eigenen Stil, auf jedes Markieren seines
Individuums. Kein Mensch kann ganz unpersönlich
, rein sachlich-gleichgültig arbeiten,
und wir haben uns daher die Freiheit genommen
, von Schultze-Naumburgs Privatleben
und Charakter öffentlich zu reden. Auch
leistet jedermann der Welt und sich selber
einen guten Dienst, wenn er sein Werk nach
seinen besondern Eigenschaften auswählt und
einschränkt; wir tun aber weder der Welt,
noch uns selber ein Gutes an, wenn wir unser
Individuelles andern Individuen als etwas
Herrliches und Herrschaftswürdiges aufzudrängen
suchen. Jeder mag sich, wenn er
in seiner Stube in den Spiegel guckt, für einen
hübschen Kerl halten, aber jeder sollte auch
wissen, daß nur ganz wenige Menschen wegen
ihrer Individualität von andern geschätzt werden
, wenn auch oft ein Individuelles uns eine
Zeitlang reizen und im Publikum Aufsehen erregen
mag. Ihren dauernden Ruhm haben selbst
solche Persönlichkeiten wie Goethe, Shakespeare
und Bach nicht, weil sie besondere Menschen
waren, die besondere Dinge machten,
sondern weil sie die Dinge so machten, wie
sie sein müssen, und wie sie den Menschen
dienlich sind. Sie schufen gesetzlich, nicht willkürlich
, sie schufen im Sach- oder Aufgabenstil
. Die wahren Genies strebten nie nach Originalität
, da sie ein Höheres, das Gottgewollte,
erblickten oder ahnten; sie vermieden nie die
alten Formen oder alten Stoffe, sondern schätzten
sie im Gegenteil als die natürlichen, geprüften
, bewährten. Goethe lehrt die Lossagung
vom Persönlichen, Eigenwilligen, Originellen
an mancher Stelle; er hat sie auch
für die Architektur ganz besonders als das
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