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-^=^> PAUL SCHULTZE-NAUMBURGS BAUTEN <^=ö-
haus wildenbruch in weimar
windfang
nette Aufgabe für Witzblattzeichner; im kostspieligen
Ernst des Lebens macht man höchstens
Ansätze dazu, was freilich auch schon
von Uebel ist.
Aber, wendet man ein, jeder Bauherr hat
doch besondere Bedürfnisse und erlaubte Liebhabereien
; er möchte sie in seinem Hause,
Hofe und Garten befriedigen. Ganz recht,
aber werden denn in drei Jahren die Familienverhältnisse
oder die Liebhabereien noch dieselben
sein? Werden die Häuser nach zehn
Jahren noch dieselben Eigentümer und Bewohner
haben? Wer ein wenig nach den Erfahrungen
des menschlichen Lebens fragt, wird
als Bauherr nie den Mund aufreißen und erklären
: „Ich baue für mich und nicht für andere
Leute." Man baut stets für Unbekannte!
Man weiß von einer Reihe von Gästen immer
nur den ersten zu nennen. Man sollte also
stets so neutral wie möglich bauen, so unpersönlich
, so typisch, wie nur möglich.
Man kann für einen reichen Mann, der ein
Gartenfreund ist, bauen, oder für einen armen
Arbeiter, der gleichfalls ein Gärtchen
haben möchte, aber Namen und Persönlichkeit
dieser ersten Bewohner tun wenig zur Sache.
Wer in die Geschichte seines Wohnorts eingeweiht
ist, wer sich um die Vorgeschichte
seiner eigenen Wohnungen gekümmert hat,
weiß Erstaunliches über die Unbeständigkeit
der Raumbenutzungen zu berichten. Es klingt
wie Scherz, aber ich kann von mir selbersagen,
daß ich in zwanzig Jahren der Wohnungsnachfolger
war von Mönchen, Prinzessinnen,
reichen Adligen, Schustern, Tagelöhnern, Näherinnen
und Kühen, denn einen früheren
Kuhstall benutzen wir jetzt als Diele. Oder,
um auf bekannte Häuser hinzuweisen, Charlotte
von Stein lebte seit 1778 in einem „Kavalierhause
" am weimarischen Parke; die
Räume unter ihr waren innerhalb eines Menschenalters
: Pferdestall,Teesalon für vornehme
Spaziergänger, chemisches Laboratorium, wieder
Restaurant und Billardzimmer, und endlich
griechisch-katholische Kapelle. Das Haus ihres
berühmten Freundes an dem andern Ende der
„Ackerwand" bewohnten nach Goethes Tode
ein russischer Gesandter, ein preußischer
General, eine englische Witwe, ein weimarischer
Arzt und ein englischer Ex-Geistlicher;
in der Mansarde war zeitweilig eine Mädchenpension
. Jetzt ist das Haus ein Museum. Solcher
Beispiele könnte ich aus meinem hiesigen
Gesichtskreise viele geben, aber haben
nicht unsere Vorfahren die gleiche Erfahrung
schon längst in Sprichwörtern und Hausinschriften
ausgedrückt? Ist es also nicht eine
Gedankenlosigkeit oder eine gewollte Künstelei,
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