Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 275
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0301
zwischen den Erscheinungen der Mode und unserer
wahren Existenz klafft, und die es zu überbrücken gilt.
Es bedarf da des Idealismus, nicht nur der Künstler
, sondern auch der Ausführenden, um ernsthaften
Wandel zu schaffen. Wie schlecht es mit der Metallfabrikation
bestellt ist, lehrt uns ein Blick in die
Kataloge gewisser Metallwarenfabriken und in die
Schaufenster entsprechender Handlungen. Es zeigt
sich hier ein künstlerischer Tiefstand dieser Industrie
, die mehr wie jede andere durch ihre modernen
Einrichtungen berufen wäre, die Wünsche weiter
Kreise nach gutem Kunstgewerbe zu erfüllen, da
es bei der Massenfabrikation doch nur weniger neuer
Formen bedürfte, um den zu Tausenden in denHandel
gehenden Stücken mehr Schönheit mit auf den Weg
zu geben. Hier kann ein holländischer Künstler,
Jan Eisenlöffel, als Muster dienen für die Fortführung
einer überkommenen einfachen Formensprache
in wahrhaft modernem Sinne. — Von bäuer
licher Keramik finden sich noch in einzelnen Teilen
Deutschlands glückliche Spuren, doch wird nicht genug
zu ihrer Pflege getan, vielmehr versucht, durch
eine äußerliche Modernität die alten Traditionen zu
verdrängen. — Anstatt japanischen Korbwaren bei uns
einen großen Markt zu eröffnen und fremde Materialien
zu verarbeiten, sollten wir unseren heimischen alten
Weidengeflechten, die mit den japanischen an Kunstwert
wetteifern können, wieder Beachtung schenken
und unsere Industrie lehren, sich einem Gebiet wieder
zuzuwenden, dessen einstige Blüte heute kaum jemand
ahnt. — Wie das Flechtwerk, so trägt das verwandte
Gebiet der Weberei und Stickerei seine Stilgesetze
in sich selbst. Die Reize, die in der Bindung und
Knüpfung der Fäden, in der strengen Gesetzmäßigkeit
des Stoffgrundes bei der Kreuzstich- und Perlenstickerei
ihre Ursache haben, lassen sich immer neu
variieren. — Der platte Ungeschmack der hier, ebenso
wie in den Ledertechniken noch vorherrscht, sollte
wirksam bekämpft werden durch systematische Schulung
des Dilettantismus, die ihn in seine Grenzen
weist, und auf diesem Umweg könnte vielleicht in
das deutsche Haus die Bibliophilie, die Freude am
schön gebundenen und ausgestatteten Buch getragen
werden. — Wenn gleich die Entwicklung des Buchgewerbes
noch mit die erfreulichste Richtung genommen
hat, so gibt es auch hier noch viel zu tun.
Nach der schnellen Abwirtschaftung des modernen
> Buchschmucks«, sindwir, veranlaßt durch englische
Künstler, nach allerhand tastenden Versuchen, doch
allmählich bei eingehendem Studium älterer Werke
zu einem echten Buchstil gekommen, dem man vielleicht
nur den einen Vorwurf machen kann, noch
zu stark an seinen Vorbildern zu haften. Doch dies
erklärt sich aus dem Umstand, daß uns vorläufig für
künstlerische Zwecke nur alte Schriftschnitte zur
Verfügung stehen. Die anfangs so hochgepriesene
Eckmannschrift ist ad acta gelegt, sobald man erkannte
, daß es ein Unding sei, zwei grundverschiedene
Schriftcharaktere wie Fraktur und Antiqua
miteinander zu verquicken und bei einer so
heikel zu behandelnden Materie, wie es Schrift
ist, den Boden der Tradition zu verlassen, die
hier ebenso sehr ein ehernes Gesetz ist, wie die
Mathematik für die Architektur. So erscheint hier
die Schaffung neuer Schriften als die Hauptaufgabe
der nächsten Zeit. Wird auf der einen Seite die
Verbindung mit dem Ueberkommenen vermißt, so
ist andrerseits ein falschgerichteter Vergangenheitskultus
zu tadeln. Man denke an die Neudrucke alter
berühmter Literaturwerke und mache sich doch einmal
klar, daß eine solche faksimilierte Ahnenbibliothek
auf literarischem Gebiet der künstlerisch imitierten
Ritterrüstung in der Diele des modernen

Schloßherrn nicht unähnlich sieht. Was von älterer
Literatur noch lebendig ist, kann auch in einer der
lebendigen Art entsprechenden Ausstattung geboten
werden. — Auf dem Gebiete des künstlerischen
Reklamedruckes hat die Steglitzer Werkstatt, in
ihren jetzt schon historischen Gründungsjahren, die
Wege gewiesen. Es bleibt aber auch hier noch genug
zu tun, namentlich sind die vielen Möglichkeiten
, die in der Papierverarbeitung, in der künstlerischen
Nutzung der Stanz- und Prägemaschine liegen,
noch nicht annähernd erschöpft. — Die Unfähigkeit
der Moderne zeigt sich selbst an unseren neuen
Kinderbüchern, und wenn wir die Roheit des Spielzeugs
gewahr werden, das heute als künstlerisches
Produkt in den Handel kommt, so greifen wir doch
lieber auf die naiven Holzschnitzeleien zurück, die
keinen Anspruch auf Kunst machten, und merken,
wie lebendig noch heute Ludwig Richters Bildersprache
ist.

So sehen wir überall, daß es nicht ratsam ist,
die Brücken hinter sich abzubrechen, und daß wir
ohne Ehrung der Vergangenheit einen >neuen Stil«
nicht haben können. Am Anfang der Bewegung
konnte freilich bei der Neigung der Deutschen zur
Ideologie ein solches Stilphantom zum Programm
werden, wie auch das Reformkleid und so vieles
andere, was die neue Kunstperiode mit sich brachte. —
Wenn nun die Dresdner Ausstellung einen Wendepunkt
bezeichnete, so war es allerdings die endgültige
Aufgabe des »neuen Stils«, die sich allgemein
versteckt und unklar, nur an einigen Stellen ganz
ausgesprochen, zeigte. Rückkehr zum Biedermeier
freilich war es nicht, was der Einsichtige an diesen
Stellen gewahrte, vielmehr ein Forschen nach den
Ursachen, ein Fixieren der notwendigen Grundbedingungen
, die vielleicht einem neuen Stil als Unterlage
dienen könnten, dabei auch ein Wahren guter
vorhandener Formen — kurz, alles in allem, wenn
man so will, über ihn hinaus — einen >Ausgang vom
Biedermeier«.

Die Veranlassung zu vorstehenden Ausführungen
war die mir gestellte Aufgabe, einen Kommentar
zu meinen und meiner Frau hier veröffentlichten
Arbeiten zu geben. Wenn ich mich ihrer erledigt
habe, ohne diese Arbeiten auch nur flüchtig zu erwähnen
, so hoffe ich doch, klargestellt zu haben,
welche einheitliche Grundauffassung ihr Entstehen
bedingte. —Wenn auch die Gegenstände wohl selbst
den Beweis erbringen, daß Wille und Tun sich einen,
so hätte doch das umgekehrte Verfahren, aus dem
Fertigen die ihm zugrunde liegenden Absichten zu
erklären, zu falschen Schlüssen geführt, denn Werke,
an deren Entstehen viele Hände helfen müssen,
sind abhängig von manchen Zufälligkeiten und zeigen
nicht immer rein das vom Künstler Gewollte. Zum
Teil sind sie ja auch, am großen ewigen Werdegang
der Entwicklung gemessen, Versprechungen
für die Zukunft, hier ein Versprechen, mitzuhelfen
am Suchen der Zeitgenossen nach neuen Möglichkeiten
der Form, aber auch mitzuhelfen, ein großes
überkommenes Kulturerbe zu wahren in dem Bewußtsein
, mit vollem Recht dazu auch einer Pflicht
zu gehorchen, die dem auferlegt ist, der in diesem
Erbe einen großen Schatz von Kraft und Schönheit
erkannt hat. Mag ein solches Tun auch eher pedantisch
als originell, eher trocken als sensibel, eher
vorsichtig a}s abenteuerisch erscheinen, unlogischer
Denkart entspringt es nicht, solange es scheiden
kann, was brauchbar und belanglos ist, und ohne
Sentimentalität abwägen, was Zukunftswerte in sich
birgt, und was als überlebt aufzugeben ist.

F. h. Ehmcke

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