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-=ö=4^> SCHÖNHEIT UND AUSDRUCK <^ö~
wenig heiter, zu unscheinbar sein, und manchem
Deutschen wird es zu ernst und besonders
im Inneren zu starr, zu kalt und zu
streng sein.
Aber Charakter hat es.
Auf langgestreckter Terrasse hinter der
schlichten Bruchsteinmauer erhebt sich das
Hauptgebäude in breit gelagerter ernster Masse.
Der Farbe des Kalksteinmaterials entspricht
die Einfachheit der Formen. Scharf und fein
geschnitten legen sich die Gurtgesimse über
dem Erdgeschoß um die schweren Mauern, und
kantig und spröde stehen die flachen Pilaster
vor der Fläche, das Dach tragend. Es ist
das Gerippe, die Struktur, die durch den Kalkstein
hier in Tuffsteinmauerwerk gegeben wird.
Grotesken des Tierkreises in eigenartiger Auffassung
schmücken die Pilaster. Sonst sehen
wir nichts an Formen. Umsomehr kommen
die Schönheiten des körnigen Materials zur
Geltung.
Darüber türmt sich ein gewaltiges Schieferdach
, dessen Flächen in vielfachen Ausbauten
und Luken sich brechen und knicken, alle
Giebel und Erker und Fenster überdeckend
und bergend in einer großen zusammenhängenden
Hülle. Scharfkantig und dünn endigen
die Flächen in den Kanten und bringen die
gerade dem Schieferdach eigentümliche Dünne
der Dachhaut zum Ausdruck. Von den tiefen,
die Fenster beschattenden Gesimsen an der
Hauptfront aufwärts türmen sich die Dachflächen
, höher und höher immer neue Lukenausbauten
herausstreckend, immer die gleiche,
dreimal in flachem Winkel gebrochene Ausbauchung
, die bei aller Schärfe doch die
Flächen zusammenhält und die Zerrissenheit
der Erscheinung vermeidet. So ist trotz größter
Mannigfaltigkeit des Aufbaues und reicher
Gruppierung ein ernster einheitlicher Gesamt-
eindruck gewahrt.
Ursprünglicher noch ist der Ausdruck des
Materials bei den Nebengebäuden (Abb. S. 290
u. 291). Der heimische Bruchstein ist hier
gegen Kalksteineinfassungen von einem muscheligen
, von rostbraunen Tongallen belebten
Gefüge gesetzt; gelblicher Rauhputz hebt sich
gegen die dunkelgebräunten Fachwerkshölzer.
Und wie dienatürlichen Farben der Materialien,
so sind auch hier die Formen zur höchsten
Ausdrucksfähigkeit gesteigert.
Wieder ist der Aufbau in der Hauptidee
symmetrisch entwickelt (vgl. Abb. S. 288); wieder
geben die flachen Winkel der mehrfach gebrochenen
Vorbauten die Hauptmotive. Etwas
gekünstelt und fremdartig stehen die flachen
Bogenblenden, die eine arkadenhafte Behandlung
andeuten. Die knappen Gesimse entsprechen
hier der Zurückhaltung eines Nebengebäudes
. Sogar die verpönte „preußische Kappe"
tritt bei dem zurückliegenden Flügel im Hof
(vgl. Abb. S. 290 oben) mit ihren charakteristischen
Linien als dekoratives Moment auf.
Die flachen Gewölbekappen erscheinen in zusammenhängender
Folge ähnlich einer flachen
Wellenlinie. Der tiefe Schatten darunter markiert
um so lebhafter die langfließende Horizontale
, auf der sich darüber energisch die
enggestellten Holzstiele aufrichten.
Es sind ganz ähnliche Ideen und eine unverkennbare
Verwandtschaft in den Formen
bei dem Gutsgehöfte „Laagshof" im Siebengebirge
von demselben Architekten zu verfolgen
. Eine außerordentlich kraftvolle Konzeption
zeigt der Hofgiebel des Wohnhauses
(Abb. S. 299—301). Die beiden Erkervorbauten
stehen wie zwei stämmige Türme vor der
eigentlichen Umfassungswand. Die kraftvolle
Vertikale dieser Erker kämpft gleichsam mit
den tief unterschnittenen Horizontalen des
Balkons und des Giebeldreiecks, dessen Fachwerkssystem
in sich wieder scharf die Vertikale
und Horizontale zum Ausdruck bringt.
Eine fast unmerkliche Abflachung der Schwelle
von der Mitte aus nach den Enden zu hebt die
Ausdrucksfähigkeit der Horizontalen wesentlich
. Die langen Dachflächen der beiden anschließenden
Stallflügel sind fast ausschließlich
von Horizontallinien beherrscht. Ueberau
kehren als Unterbrechung die im Achteckswinkel
gebrochenen Erker und Dachausbauten
wieder.
Das Ausschlaggebende ist bei allen diesen
Bauten die Umrißgestaltung, das räumliche
Zusammenfügen von Flächen, d. h. die wirklichen
spezifisch architektonischen Ausdrucksmittel
, nicht die dekorativen Momente, nicht
die formale Ausbildung im engeren Sinne.
Die Dekoration beschränkt sich auf eine sehr
sparsame Verwendung von Bildhauerarbeiten
von sehr kerniger stilisierter Zeichnung.
Die Durchbildung der Innenräume entspricht
vollkommen dieser Auffassung der Außenarchitektur
. Die räumliche Wirkung ist sehr
großzügig gedacht und durchaus architektonisch
empfunden. Aus den Grundrissen des
Feuerschlosses (Abb. S. 284 u. 285) kann man
die Größe der zusammenhängenden Räumlichkeiten
entnehmen, die durch die Oeffnung
der Mittelhalle zur Treppendiele, zum Speisezimmer
und der Rheinhalle gebildet wird. Es
ist eine Raumgruppe von etwa 20 m Länge
und 17 m Tiefe, in der verschiedene Pfeilerstellungen
und vor und rückspringende Erker
die mannigfaltigsten Durchblicke geben. In
dieser ganzen Raumgruppe ist eine einheitliche
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