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-5r4^> GEORG SIMMEL: DAS PROBLEM DES STILES <^=^
uns etwas eigentümlich Unbehagliches, Fremdes
, Kaltes haben — während solche, die aus
einzelnen Stücken verschiedener, aber nicht
weniger strenger Stile nach einem individuellen
Geschmack, der freilich ein ganz fester
und einheitlicher sein muß, komponiert sind,
im höchsten Maße wohnlich und warm wirken
können. Ein Umkreis von Dingen, die
völlig eines historischen Stiles sind, gehen
eben zu einer in sich geschlossenen Einheit
zusammen, die das darin wohnende Individuum
sozusagen von sich ausschließt, es findet
keine Lücke, in der sein persönliches, jenem
vergangenen Stile fremdes Leben sich in ihn
ergießen oder mit ihm vermählen könnte.
Dies wird aber merkwürdigerweise ganz anders
, sobald das Individuum sich aus mannigfach
stilisierten Objekten seine Umgebung
nach seinem Geschmack zusammensetzt; dadurch
bekommen sie ein neues Zentrum, das
in keinem von ihnen für sich liegt, das .sie
nun aber durch die besondere Art ihrer Zusammenfügung
offenbaren, eine subjektive
Einheit, ein ihnen jetzt anfühlbares Erlebtsein
durch eine persönliche Seele und eine
Assimilation an diese. Dies ist der unersetzliche
Reiz, weshalb wir unsere Räume
mit Gegenständen vergangener Zeiten ausstatten
, und aus solchen, deren jeder das
beruhigte Glück des Stiles, d. h. eines überindividuellen
Formgesetzes trägt, ein neues
Ganzes herstellen, dessen Synthese und Gesamtform
nun dennoch durchaus individuellen
Wesens und auf eine und nur eine besonders
gestimmte Persönlichkeit eingestellt ist.
Was den modernen Menschen so stark zum
Stil treibt, ist die Entlastung und Verhüllung
des Persönlichen, die das Wesen des Stiles
ist. Der Subjektivismus und die Individualität
hat sich bis zum Umbrechen zugespitzt,
und in den stilisierten Formgebungen, von
denen des Benehmens bis zur Wohnungseinrichtung
, liegt eine Milderung und Abtönung
dieser akuten Personalität zu einem Allgemeinen
und seinem Gesetz. Es ist, als ob das
Ich sich doch nicht mehr allein tragen könnte
oder sich wenigstens nicht mehr zeigen wollte
und so ein generelles, mehr typisches, mit
einem Worte: ein stilisiertes Gewand umtut.
Eine ganz feine Scham liegt darin, daß eine
überindividuelle Form und Gesetz zwischen
die subjektive Persönlichkeit und ihre menschliche
und sachliche Umgebung gestellt wird;
die stilisierte Aeußerung, Lebensform, Geschmack
— alles dies sind Schranken und
Distanzierungen, an denen der exaggerierte
Subjektivismus der Zeit ein Gegengewicht
und eine Hülle findet. Die Neigung des
modernen Menschen, sich mit Antiquitäten
zu umgeben — also mit Dingen, an denen
der Stil, das Zeitgepräge, die allgemeine Stimmung
, die sie umschwebt, das Wesentliche
ist — ist doch nicht nur ein zufälliger Snobismus
, sondern geht auf jenes tiefe Bedürfnis
zurück, dem individuell überspitzten Leben
einen Beisatz von ruhiger Breite, typischer
Gesetzmäßigkeit zu geben. Frühere Zeiten,
die nur einen und darum selbstverständlichen
Stil besaßen, waren in diesen diffizilen Lebensfragen
ganz anders gestellt. Wo nur ein Stil
in Frage kommt, wächst jede individuelle
Aeußerung organisch aus ihm heraus, sie
muß sich nicht erst ihre Wurzel suchen, das
Allgemeine und das Persönliche gehen in der
Leistung konfliktlos zusammen. Was wir an
Einheitlichkeit und Mangel an Problematik
dem Griechentum und manchen Epochen des
Mittelalters beneiden, ruht auf solcher Fraglosigkeit
der allgemeinen Lebensgrundlage,
d. h. des Stiles, die dessen Verhältnis zu der
einzelnen Produktion sehr viel einfacher und
widerspruchsloser gestaltete, als es für uns
liegt, die wir auf allen Gebieten über eine
große Anzahl von Stilen verfügen, so daß
die individuelle Leistung, Verhalten, Geschmack
sozusagen in einem lockeren Wahlverhältnis
zu dem weiten Fundament, zu dem
allgemeinen Gesetz steht, dessen sie doch
bedarf. Deshalb wirken die Erzeugnisse früherer
Zeiten oft so viel stilvoller, als die uns-
rigen. Denn stillos nennen wir doch ein Tun
oder sein Produkt, wenn es nur einer momentanen
, isolierten, gleichsam punktuellen Regung
entsprungen scheint, ohne durch ein allgemeineres
Empfinden, eine überzufällige Norm
fundamentiert zu sein. Dieses Notwendige,
Grundlegende kann auch durchaus das sein,
was ich als den individuellen Stil bezeichnete.
Bei dem großen und schöpferischen Menschen
strömt die einzelne Leistung aus einer solchen
umfassenden Tiefe des eigenen Seins, daß
sie in diesem eben die Festigkeit, Fundamen-
tierung, das Mehr als Jetzt und Hier findet,
das der Leistung des Geringeren aus dem
von auswärts aufgenommenen Stil kommt.
Hier ist das Individuelle der Fall eines individuellen
Gesetzes; wer dazu nicht stark genug
ist, muß sich an ein allgemeines Gesetz
halten; tut er das nicht, so wird seine Leistung
stillos, — was, wie nun leicht begriffen
wird, eigentlich nur in Zeiten mehrfacher
Stilmöglichkeiten geschehen kann.
Schließlich ist der Stil der ästhetische Lösungsversuch
des großen Lebensproblems:
wie ein einzelnes Werk oder Verhalten, das
ein Ganzes, in sich Geschlossenes ist, zugleich
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