Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 316
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-s?4^> EIN HAUS- UND GARTENBUCH VON BAILLIE SCOTT *C^^-

einem höheren Ganzen, einem übergreifend einheitlichen
Zusammenhange angehören könne.
Indem sich von dem individuellen Stil der ganz
Großen der allgemeine der Geringeren abhebt,
drückt sich daran jene weite praktische Norm
aus: „— und kannst du selber kein Ganzes -

Werden, als dienendes Glied schließ' an ein
Ganzes dich an."— drückt sich in der Sprache
der Kunst aus, die freilich auch der geringsten
Leistung noch einen Strahl von Selbstherrlichkeit
und Ganzheit läßt, der in der praktischen
Welt nur über den größten leuchtet.

EIN HAUS- UND GARTENBUCH VON BAILLIE SCOTT*)

^^^^^^l ernünftige Ideen und Anschau-
4 ungen brauchen, um Allgemeingut
zu werden, weit mehr Zeit
als solche entgegengesetzter
Natur. Das trifft unter vielen
anderen auch für das Gebiet des
Bauwesens zu. Trotz aller technischen Fortschritte
steht dieses künstlerisch noch vielfach
unter dem Banne von Dingen, die der junge
Architekt als Ballast mitschleppen muß, von
Selbständigen freilich bald über Bord geworfen
, von Unselbständigen aber weiß Gott
nicht zur Freude Klarsehender, Klardenkender
immer wieder in Anwendung gebracht.
In England hat eine sachlich gesunde Bewegung
auf diesem Gebiete schon vor einem
halben Jahrhundert begonnen. Und wie lange
hat es gedauert bis die Kontinentalen davon Notiz
nahmen? Die Bewegung setzte am richtigen
Ende mit ihren Bestrebungen ein, während in
außerordentlich vielen anderen Fällen mit der
Reform am falschen, am verkehrten Punkt angefangen
, nicht vom Wesentlichen, sondern vom
Unwesentlichen ausgegangen, das Umkleidende
für wichtiger als der Kern betrachtet wurde. Man
sprach vom „neuen Stil", schon als man zu dem
neuen Kleide weiter nichts als ein paar Knöpfe
hatte, man begann genau so verkehrt wie es
hinsichtlich der Reformbestrebungen beim
wirklichen, menschlichen Kleide geschah. So
lange dieses noch immer einem nicht gut
durch- und ausgebildeten Körper zur Ver-
deckung schadhafter Stellen dient, ist der
Kern der Sache nicht getroffen. Man wirft
den Engländern seitens der dekorativ Schaffenden
oft vor, sie kämen nicht vom Fleck
und machten heute noch, was sie vor sechs,
acht, zehn Jahren gemacht haben. Dabei wird
völlig übersehen, daß dies scheinbar langsame
Voranschreiten auf einer Urteils-Sicherheit
beruht, zu der man noch nicht überall anderwärts
durchgedrungen ist, und daß vor allem
der Rahmen, in den sich alle dekorativen
Leistungen schließlich doch einpassen müssen,
das Haus, die Wohnstätte, „drüben", soweit
es sich vor allem um neuzeitliche Erschei-

*) Houses and Gardens, by M. H. Baillie Scott,
London, George Newnes Ltd. Preis 30 M.

nungen handelt, seit geraumer Zeit auf einer
höheren Entwicklungsstufe steht, als es bei
uns durchschnittlich der Fall ist. Jede „Saison
" wird immer wieder ein neuer Trick
verlangt, selbst von Leuten, die man sonst
für ziemlich zurechnungsfähig hält. Daher
kommt es denn auch, daß die außerordentliche
Wertschätzung, von der wir uns in
dieser Beziehung allseits umgeben glauben,
durchaus nicht so zweifellos feststeht, als so
manche Fanfarenbläser es immer wieder verkündigen
. Man hat in England vor allem
weit früher als auf dem Kontinent, auch in
Deutschland, einsehen gelernt, daß der baulich
-sachliche Ausdruck nicht all jener Mätzchen
bedarf, die noch von so vielen als die
unumgänglich nötigen Begleiterscheinungen
des „Bauens" angesehen werden. Man hat
weiter viel früher einsehen gelernt, daß im
alten Bauern-, im alten Kleinbürgerhause, wie
es als Boden-, als Volksprodukt sich von selbst
gebildet hat, viel mehr Erkennenswertes für
große Gebiete baulicher Tätigkeit liegt als in
allen Palazzi miteinander, deren ganze oder
teilweise Nachbildungen im kleinen, mit anderen
Materialien, unter anderem Sonnenlicht,
jenes Zerrbild von Baukunst geschaffen haben,
das an Stelle älterer, viel leicht nicht mehr zweckdienlicher
, aber vielfach weitaus schönerer Erscheinungen
getreten ist und sich seuchenhaft
auch über nicht städtische Gebiete verbreitet hat,
geschmack verderbend, schönheitszerstörend,
unerfreulich - - vielfach direkt scheußlich !

Spricht man von Baillie Scott, so spricht
man von einem Künstler, der lang, lang
ehe die kaum stark gewürdigte Kunde von
der Geburt neuer Stile auf dem Kontinent
das britische Ufer erreichte, bereits so modern
war, so modern dachte, wie keiner seiner
Kollegen auf dem Festlande, modern deswegen
durch und durch, weil er alles Unwesentliche
beiseite schob mit dem Grundsatz: Bauen
heißt vor allem räumlich gestalten, und wenn
wir wieder richtig bauen lernen wollen, dann
handelt es sich vor allem darum, der räumlichen
Wirkung, die an ungezählten alten
Bauten ohne Zuhilfenahme dekorativer Spitzfindigkeiten
in glänzendster Weise erreicht

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