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-^4sö> EIN HAUS- UND GARTENBUCH VON BAILLIE SCOTT
ist, wieder zum Rechte zu verhelfen. Bail-
lie Scott ist kein Verächter alter Kunst,
wie so viele, die sich für sehr modern halten,
er bewundert sie vielmehr, nur kopiert er
sie nicht in ihren Aeußerlichkeiten planlos,
denn er hat, was viele Architekten für ihren
Spezialfall nicht zu erkennen vermochten, das
richtige Verständnis für den Inhalt des Dik-
tums: „Eines schickt sich nicht für alle."
Greift nun so ein Mann zur Feder, um an
einer großen Reihe selbstgeschaffener Werke
die Gesichtspunkte klarzustellen, die ihm, in
jedem Einzelfall ein neues Problem maßgebend
gewesen sind, so darf von vorneherein vorausgesetzt
werden, daß es sich um etwas anderes
dabei handelt als um eine „Anleitung, wie man
Häuser baut". Solche gibt's viele. Die wenigsten
taugen etwas, weil sie entweder Repräsentanten
des Kathedertons sind, der so
wenig praktisch Brauchbares schafft, oder weil
ihnen das überhaupt nicht zugrunde liegt,
was man für die Bau — „kunst" benötigt. In
Baillie Scotts Buch liegt der Ausdruck einer
Persönlichkeit. Die von ihm ausgesprochenen
Wahrheiten sind in ihm selbst ausgegoren,
deshalb von herrlichster, wohltuender Rücksichtslosigkeit
, ohne deshalb
grobkörnig zu sein. Ueberall
schaut der fein fühlige Mensch,
der überlegende, klar abwägende
Künstler heraus; es ist
das Produkt jener so äußerst
wertvollen englischen Erziehungsmaximen
, die Jugend zu
einem selbständigen, freimütigen
Geschlechte, nicht in
erster Linie zu Hurraschreiern
und spekulativen Duckmäusern
zu erziehen, ihr den
Blick für die Tatsächlichkeiten
desLebensnichtmöglichst
lange zu verschleiern und auf
diese Weise Menschen mit
völlig befangenen Ansichten
schließlich zu hohen Würden-
und niedrigen Schleppträgern
zu machen. Baillie Scotts
Buch, so scharfsinnig es auch
im Kreise fachlicher Erörterungen
gehalten ist, zielt mehr
darauf ab, „Ideen über Baukunst
, nach persönlichen Anschauungen
und Wahrnehmungen
geschrieben" — zu
geben. Ein menschlich großer,
freier Zug liegt darin. Das gibt
ihm den höheren Wert. Wohl
spricht er, wie auch über an- carl melville
deres, zur rechten Zeit sein abfälliges Urteil über
die „Motivsammler" aus, deren Bauten ein Zusammensetzresultat
aus Skizzenbüchern, Photo-
graphiensammlungen usw. sind, indes fallen
dergleichen Seitenhiebe bloß gelegentlich und
am rechten Ort. In der Hauptsache beschäftigt
ihn das Problem, wie sich das Individuum zur
Wohnung, zum Hause verhält, wie also Wohnungen
für wirkliche Kulturmenschen, gleichviel
ob für Arbeiter oder Millionäre, geschaffen
werden und wie deren individuelles Gepräge
wieder im Verhältnisse zu jenen intimen Fragen
gestaltet wird, die unter dem Einflüsse der
akademischen Rezeptierkunst während vieler,
vieler Dezennien vollständig ausgeschaltet
waren. Den Inhalt hier zu zergliedern, zu
untersuchen, erscheint mir überflüssig. Das
Lebenswerk eines in jeder Hinsicht selbständigen
, in seiner Meinungsäußerung wie
in seiner Kunst radikal gesinnten Menschen
in wenigen Zeilen abzuhandeln, überlasse ich
gerne jenen, die daraus ein Geschäft machen.
Jede Seite des Buches enthält Vortreffliches
ich wüßte nicht, wo anfangen, wo aufhören
, und das Buch ist außerdem voluminös,
weil alle möglichen baulichen Probleme darin
angeschnitten werden. Ist es
auch in erster Linie auf englische
Verhältnisse zugeschnitten
, deren Herübernahme
ins Gebiet kontinentaler
Bauerfordernisse in vielen
Fällen einen Mißgriff bedeuten
würde, so enthält es
doch des allgemein Richtigen
so vieles, daß jeder mit architektonischen
Fragen Beschäftigte
darin reichliche Anregung
findet. Illustrationen enthält
es in Menge, darunter
viele farbige. An Villen-und
Landhäuser-Literatur fehlt es
im großen und ganzen in England
nicht, wohl aber an persönlichen
Aeußerungen, die
nicht bloß sagen: „So und
so mußt du's machen, wenn
du ein Haus baust!" Damit
wird nur der Papiermühle
vorgearbeitet. Baillie Scotts
Buch hat alle Vorzüge einer
durchaus sachlichen Behandlung
der Themata bei völliger
Wahrung der Freiheit des
künstlerischen Standpunktes
desjenigen, der darin von seiner
eigenen Arbeit berichtet.
NATURSTUDIE H.E.VON BerLEPSCH-VALENDÄS
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