Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 321
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-*-4^> DIE KAISERLICHE RUSSISCHE PORZELLANMANUFAKTUR <ö^s-

und trieb die Porzellanmalerei in
ein sonderbares Fahrwasser.

So entarteten die Formen zu
einem Stilgemisch, das die Technik
des Porzellans überdies häufig
genug zu verneinen liebte. Da
unter den Malereien auf Porzellan
keine Originalgemälde sich finden,
ist diese Epoche — wie für ganz
Europa — auch für Rußland ohne
eigene künsterische Bedeutung.
Nur eine letzte Folge dieses
künstlerischen Rückgangs war
die allgemeine Abneigung für
Porzellan überhaupt. Um 1870
waren die Käufe sowohl der
Privaten wie der Großfürsten
so sehr zurückgegangen, daß
der Niedergang der Kaiserlichen
Manufaktur nicht zu leugnen war.
1871 befahl die Kaiserin, daß man sich in
der Ornamentation nach englischen Mustern
richten solle. Die Modelle, die Bildhauer
Spiess aus England geholt, wurden sklavisch
kopiert. Gerade bei seinen Arbeiten macht
sich das Fehlen jedes Gefühles für keramische
Form sehr bemerkbar.

Leider glaubte man auch noch in den achtziger
Jahren, als durch Großfürst Wladimir
Alexandrowitsch eine Reorganisation der
Manufaktur durchgeführt wurde, man bedürfe
nicht großer Künstler, man brauche nur gute
Kopisten. Einsicht hatte man aber doch auf
technischem Gebiete erlangt. 1884 machte
der Techniker Khowansky die erste Reise,

um die Porzellanfabriken in Preußen, Sachsen
, Böhmen, Frankreich gründlich kennen
zu lernen. Die Folge war die Abschaffung
der alten Oefen und die Konstruktion neuer
nach den Systemen Berlin, Sevres und Meißen.

Wenn nun immer noch nicht mit der Tradition
der Nachahmung gebrochen wurde, wenn
selbständige technische Versuche nicht gemacht
werden durften, so wurde doch das rein empirische
Ausproben hin und wieder ersetzt
durch ein analytisches Vorgehen und genaueres
Berechnen der aus den Zusammensetzungen
der Erden sich ergebenden Möglichkeiten.

Der persönliche Geschmack AlexandersIII.
dürfte kaum förderlich genannt werden können
, - doch fällt in diese Epoche der Vorbereitung
wenigstens der Versuch der Unterglasurmalerei
, die der dänische Maler Lüsberg
einführen wollte. Man hätte im allgemeinen
wohl gern neue technische und
künstlerische Wege eingeschlagen — aber die
Tradition der Nachahmung und des Nachgehens
war doch bequemer.

Das sollten sich unsere „modernen" Traditionsschwärmer
ins Taschenbuch schreiben.

Zunächst wurde es auch unter der Regierung
des jetzigen Zaren nicht besser. Allmählich
siegte jedoch auch in Rußland die
neue künstlerische Bewegung, nur etwas
später als bei uns und unter ungünstigeren
Erscheinungen.

Mit Beginn des neuen Jahrhunderts wurde
die Einheit von Form und Schmuck als Programm
aufgestellt. Der Idee des erfindenden
Künstlers wurde zum Recht verhelfen
freilich die Künstler, die erfanden, waren
technisch vollständig unerfahren. Das hat
zu der auch uns bekannten schlechten Aushilfe
geführt: fertige künstlerische Zeichnungen
wurden gekauft, um von Kunst-
Keramikern entsprechend verändert verwendet
zu werden.

Der Stil des 18. Jahrhunderts ist selbst in
Rußland verschwunden. Gerade die Geschichte
der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur läßt den
endlichen Sieg der Praxis über Theorie und
Nachahmung, den Sieg der Technik über
Formenspielereien äußerst interessant erscheinen
. Freilich, wohl selten ist die Geschichte
einer Fabrikation so sehr angefüllt von
Mißgriffen und Mißgeschick wie die Geschichte
der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur in
St. Petersburg von 1744 — 1904.

Als Ganzes aber bildet gerade die eingehende
Darstellung mit ihrer Fülle nationalökonomischer
wie national-russischer Einblicke
für Organisatoren von Kunstwerkstätten eine
zickzackartige Reihe von Wegweisern — die
leicht den auf geradem Wege zum Ziel
führen — der die Umwege zu überblicken
vermag. E. W. Bredt

Dekorative Kunst. XI. 7. April 1908.

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