http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0355
-sf4^> FORMEN-ELEMENTE <^=^
ZIGARETTEN-, ZIGARREN-ETUIS U. SCHALE AUS KUPFER MIT VERSCHIEDENFARBIGEM EMAIL U. P ATI NIERUNGEN
ENTWURF U. AUSFÜHRUNG: E. EHRENBÖCK U. L. VIERTHALER, KUNSTGEWERBLICHE WERKSTÄTTEN, MÜNCHEN
FORMEN-ELEMENTE
Jeder geschlossene, ausgesprochene Stil besitzt
einen gewissen „eisernen Bestand"
an rein dekorativen Formen, die neben den
jeweiligen konstruktiven Bedingungen und den
Anforderungen der mit der Zeit wechselnden
Bedürfnisse sein Wesen ausmachen. Bei jungen,
lebensfrischen Stilanfängen ist dieser „eiserne
Bestand" ziemlich gering. Hier entscheiden
die mehr praktischen, realen Fragen. Bei gesteigerter
Entwicklung erweitert sich mehr
und mehr der Einfluß des dekorativenMomentes,
das denn auch in den späteren und letzten
Stadien meist die führende
Rolle einnimmt. Die meisten
Stile der Vergangenheit zeigen
uns tatsächlich, daß technische
und praktische Erfordernisse
gegenüber dekorativer Spielerei
zurücktreten, sobald eine
gewisse Höhe erreicht ist. Die
späte Gotik mit geschwungenen
Fialen usw. und das Rokoko
als letzter Ausklang der
Renaissance mögen das Gesagte
illustrieren. Welch gesunde
, frische Schöpfungen
zeitigten diese beiden letzten großen Kunstperioden
, und wie schwach erscheinen dem
gegenüber, trotz aller Feinheit und allen Gefühls
für schöne Verhältnisse, ihre letzten
Ausklänge! Ornamentale Spielereien oder
schulmeisterlicher Regeldrill, das ist das Ende
vom Liede. Gar oft werden auch Formen,
die sich in irgend einem Material wie von
selbst ergaben, späterhin direkt auf ein ganz
anderes Material übertragen, ohne daß dabei
auf dessen besondere Eigenschaften die nötige
Rücksicht genommen wird. Haben doch sogar
die alten Griechen — die besten
Baukünstler der Vergangenheit
— nichts weiter als
versteinerte Holzbauten geschaffen
. Sobald demnach eine
Kulturepoche über einen Formenschatz
verfügt, derart, daß
von einem geschlossenen Stil
die Rede sein kann, ist auch
schon der Anfang vom Ende
gemacht, sitzt bereits der Todeskeim
im zarten Pflänzlein,
das tragische Geschick alles
Irdischen !
325
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0355