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AUS: „DER HEILIGE HIES
(VERLAG ALBERT LANGEN, MÜNCHEN)
IGNATIUS TASCHNER
Ueberlegt man, daß Taschner noch nicht
37 Jahre alt ist, und daß er in München,
in Breslau und Berlin eine Fülle mannigfaltiger
Werke des Kunstgewerbes, der Buchkunst
und der Plastik geschaffen hat, deren
Qualität von Anfang an gleich hoch war, und
die bei einer durchgehenden Stileinheit sich
doch seltsam von einander abheben; so erweckt
dies von selber die Begierde, einer so
reich gearteten Künstlerpersönlichkeit zum
wenigsten geistig nahezukommen.
Die Erkenntnis wächst mit steigender Bekanntschaft
, daß eine große harmonische Einheit
sein Schaffen durchdringt. Sie wurzelt
in einem eminenten tektonischen Stilgefühl.
Vom Kunsthandwerk ist ja Taschner ausgegangen
; er beherrscht alle Techniken selber
, er ist in ihr Wesen, in ihr Material eingedrungen
, wie wenige außer ihm. Aber
diese Materialkenntnis war ihm nie Selbstzweck
, sondern stets nur die selbstverständliche
Voraussetzung seines Schaffens. Er
schaltet mit ihr, so wie mit seinem gewaltigen
Vorrat an Formvorstellungen, zu dem Ende
eines reinen Kunstwerkes. Dies gibt seinen
Arbeiten, dem kleinsten Gebrauchsgegenstand
wie der Statue, die Sicherheit eines dem Material
sich anpassenden Stils und die Ruhe
der Unterordnung unter das tektonische Gesetz
: die Proportionalität. Darum konnte
Taschner mit Leuchtern und Statuetten anfangen
und einen gesicherten Weg beharrlich
fortschreiten, der ihn zur wahrhaft monumentalen
Plastik führte. Auch hier harrt eine
große bildnerische Kraft noch der ihr angemessenen
Aufgaben. Das Goethe-Denkmal zu
Straßburg bekam Taschner nicht zur Ausführung
, weil sein Entwurf zu streng war,
zu großartig in der Knappheit seines Stils.
Es war ein Goethe-Standbild ohne Phrase, ohne
Allegorien und Lyrismen; die Sachlichkeit,
die rein plastische Schönheit dieses Entwurfes
, das Herbe und Wahrhaftige in der Erfassung
eines genialen Jünglings konnten freilich
noch vor sieben Jahren einer Kommission
unmöglich gefallen, und so erhielt er nur
den dritten Preis. Nun hat er — im vorigen
Jahre — ein überlebensgroßes Standbild
Schillers ausführen dürfen; da es aber wiederum
ein Werk ohne Phrase und Sentimentalität
war, so kann man sich schon denken,
daß es nicht für Deutschland bestimmt war;
es ist nach St. Paul im Staate Minnesota gekommen
, und bei uns blieb nichts als eine
Nachbildung in Statuettenform.
Vielleicht hat Taschner bei uns deshalb
noch nicht die durchgreifende Beachtung gefunden
, die er verdient, weil er zu vielseitig
ist. Wäre er bei der „angewandten Kunst"
geblieben, so würde man ihn heute vielleicht
als Rivalen von Bruno Paul und Schultze-
Naumburg feiern. Aber er begnügte sich
nicht damit, Möbel und Uhren in originellen
Formen zu entwerfen; er war zu reich, um
sich zu spezialisieren. Da er den Vorsprung
hatte, gleich mit Kunstgewerbe begonnen zu
haben, so war für ihn der Kreis dieser
tektonischen Möglichkeiten früh durchlaufen,
zu einer Zeit, da andere erst anfingen ihn zu
betreten. Er ließ ihn hinter sich und trat
in die Reihen der Münchener Kleinplastiker,
und begann den Reichtum seiner bunten und
Dekorative Kunst. XI. 8. Mai 1908
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