http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0373
LEOPOLD BAUER-WIEN
Oesterreich hat zwei trostlose Epochennahe-
zu überstanden : die Zeit der verdrossenen
Baumeister, die für mieselsüchtige Leute unfreundliche
Zinskasernen bauten, und die Aera
der spekulativen Architekten, die für den
wahllos nach dem Modernen greifenden Snob
wilde, secessionslüsterne Kiosks errichteten.
Die ersten waren Leugner der Schönheit, der
Helle und Behaglichkeit, die zweiten Lügner
und Fälscher, denn sie boten Basargeschmack
an Stelle der Kunst.
Wir wollen uns aber hier einem Bejahenden
zuwenden, einem der den Ausspruch tat:
„Ich baue nur Häuser für glückliche Menschen."
Das ist Leopold Bauer.
Er bejaht demnach das Glück oder ist vielmehr
so stolz zu wissen, daß sich die Menschen
in den Häusern, die er baut, glücklich fühlen.
Denn er studiert seine Leute. Die Räume,
die er für sie schafft, passen zu ihren Gesten,
Gewohnheiten und Launen. Sie passen ihnen
wie ein Kleid, wie ein markantes Beiwort.
Für Bauers Begriffe besitzt jeder Mensch
seinen individuellen Stil und seine eigene
Privat-Farbe. Den Kunstliebhaber, den Bon-
vivant, den Industriellen, die junge und die
alte Frau charakterisiert er in ihrer Behausung.
Er weiß, daß die Schönheit einer tizianblonden
Dame am besten in einem nixengrünen Raum
zur Geltung kommt; er komponiert ein Gemach
in feurigem Goldgelb für die lebhafte
Brünette; eine vollerblühte Erscheinung mit
einem Madonnenovalgesicht und mattem Inkarnatwill
er mit reichen, schwer enRenaissance-
stoffen umgeben.
Er ist so gerüstet mit allen Ausdrucksmitteln
und Subtilitäten, daß er mit seiner Kunst zu
spielen vermag, wenn er sie am ernstesten
nimmt.
Er kann nüchtern, sachlich, praktisch sein,
ARCH. LEOPOLD BAUER-WIEN
ERKER EINES SPEISEZIMMERS
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