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BACKSTEIN ALS BAUMATERIAL
Von Walter Curt Behrendt
Der Backstein ist als Baumaterial durch
die neugotische Schule in Deutschland
arg diskreditiert worden. Die von Hase mit
feinem künstlerischen Verständnis genutzten
Vorzüge dieses Baustoffs zu geschlossener,
farbig belebter Massenwirkung hätten zwar
der Weiterentwicklung erwünschte Anregung
geben können, aber das Material verlor in
den Händen unselbständiger Schüler alle seine
ursprüngliche Schönheit. Man arbeitete nach
dem Musterbuch fabrikmäßig hergestellter
Formsteine, und so geriet der Ziegelbau in
einen trockenen Formalismus, von dem die
glattgeleckten („pomadigen" nennt's Gurlitt)
Kirchen- und Postbauten des preußischen
Staates beredtes Zeugnis ablegen.
Schon Schinkel hatte durch seine Anfang
der dreißiger Jahre errichtete Bauakademie
angedeutet, daß mehr die norddeutschen Backsteinbauten
des reifen gotischen Stils als Vorbilder
genutzt werden müßten. Während die
Neugotiker der siebziger Jahre sich durch die
märkischen Bauwerke vom Anfang des 15.Jahrhunderts
(Rathäuser zu Königsberg und Tangermünde
, Katharinenkirche zu Brandenburg)
anregen ließen, in denen „die Grenzen, die
der konstruktive Organismus des Ziegelbaues
gestattet, schon fast überschritten sind",*) griff
Schinkel auf die Denkmäler zurück, die in
ihrem Aufbau durch ein Beispiel charakterisiert
werden, wie etwa das Rathaus zu Thorn
es bietet. Dieses Haus, in dessen rhythmischer
Wandgliederung der moderne Betrachter
überraschende Beziehungen zu den
Tendenzen neuerer Architekten finden wird,
zeigt den Backstein nicht als flächengebendes
Material, sondern zur Bildung aufstrebender
Pfeiler angewendet, die ästhetisch als konstruktives
Gerüst des ganzen Baues wirken,
hinter dem die schmalen und hohen Fenster
eingespannt sind. Das schattengebende, zur
architektonischen Wirkung wesentliche Relief
wird der Wand lediglich durch vertikale
Gliederung gegeben, ganz entsprechend dem
Material, das durch kleines Format gezwungen,
auf starke Horizontalausladungen verzichten
muß. Der Vergleich mit der Berliner Bauakademie
wird ohne Zweifel zu Ungunsten
der letzteren ausfallen. Statt, wie beim
Thorner Rathaus, durch Pfeiler eine Wand
*) Borrmann, Die Keramik der Baukunst, Stuttgart
1897.
zu bilden, gab Schinkel die glatten Flächen
eines Kastens, vor die er allzuflache Pfeiler
legte. Sein vom klassischen Ideal hellenischer
Baukunst getriebener Schöpfungsdrang
verleitete ihn, der Form zuliebe den Geist
des Materials zu vernachlässigen: er dekorierte,
statt zu konstruieren. Die liebenswürdigen
Feinheiten im Ornament, das allzu kleinlich
detailliert, können über die Nüchternheit des
Ganzen nicht hinweghelfen. Nur die Masse
sichert dem Ziegelbau Monumentalität, derart,
daß die Vielheit der einzelnen Steine zur
Einheit wird, die allein Ruhe und Stil verbürgen
kann. Wollte man die mächtige Energie
und den packenden Eindruck erzielen, den
nach Stiehl*) das Thorner Rathaus ausübt,
so durfte die Kraft dieses Beispiels, die ihm
durch die schlichte Masse und die großartige
Gliederung seiner Wandflächen in ästhetischer
Beziehung innewohnt, nicht ungenutzt bleiben.
Einer späteren Zeit, deren ganz aufs
Dekorieren gerichteter Sinn noch in aller Erinnerung
ist, blieb eine solche Erkenntnis
verborgen, oder sie wußte wenigstens nichts
damit anzufangen. Reich an Kapital infolge
nationalen und damit wirtschaftlichen Aufschwungs
, der, plötzlich und unerwartet eintretend
, rasch die nächsten Grenzen übersprang,
so daß die geistige Entwicklung nicht gleichen
Schritt halten konnte, blieb sie arm an selbständiger
Erfindung und produktiven Gedanken.
Der Reichtum, der sich am sichersten in der
Architektur äußert, ließ sie im Backstein
ein unechtes, minderwertiges Material sehen;
ihre historischen Kenntnisse, mit deren Hilfe
sie sich über den Mangel an eigenem Formenwillen
durch einen nicht eben wählerischen
Eklektizismus hinwegzuhelfen wußte, wies
sie mit Nachdruck auf die holländischen
Bauten der Renaissancezeit hin, die den Ziegel
nur anwendete, um mit ihm die Flächen
zwischen den in Haustein ausgebildeten
Gliederungen zu füllen. Indem man auch
diese bald durch Terrakottastücke ersetzte
und,- schließlich Pfeiler, Gesimse, Kapitelle
und ornamentale Füllungen aus Terrakotta
herstellte, gab man jede weitere Entwicklung
des Ziegelbaues auf. Man hatte das eigentlich
Charakteristische des Steines zu nutzen
verlernt; statt daraus einen Materialstil abzu-
*) O. Stiehl, Das deutsche Rathaus im Mittelalter.
Leipzig 1905. S. 111.
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