Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 406
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-=s=4^> BACKSTEIN ALS BAUMATERIAL <^=u=ö=-

leiten, gebrauchte man ihn in gleicher Weise
wie den wertvolleren Haustein, dessen Wirkung
man nachzuahmen wünschte. Man war
froh, den vorwiegend plastischen Charakter
der Renaissanceornamentik durch die Terrakotta
wiedergeben zu können, ohne auch nur
den Versuch zu wagen, die Möglichkeiten
zu entwickeln, die gerade dieser Baustoff mit
der Technik der farbigen Glasuren bieten
konnte. In Berlin geben die durch Gropius
& Schmieden in den siebziger Jahren errichteten
Gebäude, wie das Kunstgewerbemuseum
und die Kunstschule, das von Ebe
& Benda erbaute Pringsheimsche Haus in
der Wilhelmstraße, wertvolle Beispiele. Auch
der in gleicher Zeit nach Schwechtens Entwurf
entstandene Anhalter Bahnhof gehört
hierher, soweit das die Architektur der Haupteinfahrt
und die Seitenfassaden betrifft, aber
er leitet bereits zu einer neuen, durchaus
modernen Verwendung des Backsteins über,
durch die dieser Bauweise befruchtende Ideen
zugeführt wurden und sie auf vollständig
eigene Bahnen geleitet werden sollte. Das
ist die Verbindung mit einem neuen Baustoff,
mit dem Eisen.

Die Einführung des Eisenbaues hat einen
bestimmenden Einfluß auf die Architektur
unserer Tage ausgeübt. Er legte Zeugnis
ab „von der Macht der Rechnung über die
Bauform, die in Verbindung mit dem neuen
Baustoff sehr wohl zu einer objektiv stilbildenden
Kraft werden kann".1) Er, der im
Sieg über die Materie sein Endziel sieht, ließ
das Prinzip von der rationellen Schönheit
der Zweckform entstehen, und rückwirkend
wies er die Architektur auf die mittelalterliche
Kunst hin, die als Vorschule echter Konstruktionsweise
wesentliche Dienste leistete. Diese
Tendenzen traten in den ersten Schöpfungen
moderner Baukunst deutlich hervor und nach
Berlage2) ist die ehrliche Konstruktion in
vereinfachter Form das richtige Prinzip, nach
dem der Künstler heute arbeiten soll. Die
Formengebung der Steinarchitektur konnte
von diesen Bestrebungen nicht unberührt
bleiben, und die „stilistisch werbende Kraft"
des Eisens machte sich auch auf den Gebieten
dekorativen und ornamentalen Schaffens bemerkbar
. Indessen da erst, wo es sich mit
dem Stein verbindet, wird seine neue Macht
wirksam werden, dergestalt, daß auch „der
Stein zu einem ähnlichen formalen Verhalten
gezwungen wird". In dem bereits genannten
Werk von Alfred Gotthold Meyer finden

*) A. G.Meyer, Eisenbauten. Esslingen 1907. S.46.
2) Berlage, Gedanken über den Stil in der Baukunst
. Leipzig 1905. S. 40 ff.

sich in einem wertvollen Kapitel über den
Bund von „Stein und Eisen", dem Baustil
der Zukunft, besonders lehrreiche Anmerkungen
. Der Verfasser verlangt, daß die
Steinfront das konstruktive Walten des Eisens
andeutet, bei ihrer Gesamtgliederung von der
Verteilung seiner Kräfte ausgeht und die
Hauptpunkte, wo diese einsetzen, heraushebt.
Das künstlerische Wesen der neuen architektonischen
Form sei Wahrheit und Größe.
„Nicht nur die statische und konstruktive
Notwendigkeit weist hier allen lediglich dekorativen
Aufputz zurück, sondern auch unser
ästhetisches Gefühl". Gerade diese Bedingungen
vermag der Backstein mit seinen
technischen Eigenschaften und kraft seiner
Fähigkeit, sich anzupassen, vorzüglich zu erfüllen
. Dafür erscheint dem Verfasser ein
Bau wie Schwechtens Anhalter Bahnhof in
Berlin ein mustergiltiges Beispiel. „Was eine
große, schön geschwungene Flachkurve als
Hauptumriß bedeuten kann, hat so kein Bauwerk
je zuvor gezeigt. Es ist eine ganz
schlichte, im Umriß der Eisenhalle folgende
Backsteinwand mit sehr spärlichem Schmuck;
die Hauptflächen in neun Backsteinarkaden
aufgelöst, die Hauptmasse nur als umrahmende
Wand behandelt, die — bezeichnenderweise
— vom Scheitelpunkt nach den Kämpfern in
fein bemessener Fläche anwächst. Diese
ruhige Sachlichkeit, ohne allen Prunk gegeben,
ist von vornehmem Adel, und die Linien
haben eine ungewöhnliche Feinheit".

Mit diesem Bau begann für die Backsteinarchitektur
eine neue Entwicklung. Die mit
Kraft und Genie geführten Versuche ergaben
schließlich ganz neue und eigenartige Resultate,
deren Wert durch ein Beispiel belegt werden
mag, das die Amsterdamer Güterbörse von
Berlage bietet.1) Hier ist eine durchaus
moderne Bauaufgabe, die Raumumschließung
einer weitgespannten Hallenanlage, mit den
Mitteln der Ziegelbautechnik gelöst. Auf
den Raum in architektonischer Beziehung
ist konstruktiv sowie dekorativ der Hauptwert
gelegt. Die Ueberdeckung bilden bogenförmige
, gegliederte Fachwerkträger, deren
Eisengerüst beiderseits auf Pfeilern Auflager
findet, die nach Art der Gewölbeanfänger ausgekragt
sind. Als solche selbst ein Teil des
Mauerwerks, gibt dieses mit seiner Gesamtmasse
dem eisernen Hallengerüst seine Wände.
Eine rhythmische Gliederung wird ihnen nur
durch einfache, arkadenartige Oeffnungen zuteil
, nach oben schließt sie ein glatter, zinnen-

I) Vgl. »Dekorative Kunst', VI. Jahrgang, Heft 11,
August 1903, Seite 401—421.

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