Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 18. Band.1908
Seite: 409
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_18_1908/0439
-:r4sd> BACKSTEIN ALS BAUMATERIAL

förmiger Fries ab. Denn „wo der Hauptteil
des ganzen Bauwerks jeden Eisenstab und
jeden Nietkopf als unentbehrliches und stets
kontrollierbares Glied des Gesamtorganismus
klar vor Augen stellt, da darf auch der Stein
nicht durch leeres Formenspiel die sachlichen
Werte verdecken . . . Der Steinkörper soll
hier nicht als dekorative Zutat erscheinen,
sondern als konstruktiv notwendiges Glied
des Ganzen" (Meyer).

Die Fassadenbildung dokumentiert in
gleicher Weise die prinzipielle Bedeutung,
die dieses Haus für die Gesamtentwicklung
der modernen Architektur und neuzeitlicher
Bauideen überhaupt hat. Da sie ebenfalls
aus Ziegeln hergestellt ist, so sind in diesem
Zusammenhang die Sätze von Wichtigkeit,
von denen der Architekt beim Entwurf sich
leiten ließ und die er selbst formuliert hat:

„Eine Raumumschließung wird hergestellt
durch Mauern; daher manifestiert sich der
Raum oder verschiedene Räume nach außen
als ein mehr oder weniger zusammengestellter
Komplex von Mauern.

Auf die Mauer fällt daher in diesem Sinne
wieder der gebührende Wert, daß dieselbe ihrer
Natur nach flach bleiben soll, denn eine zu
sehr gegliederte Wand verliert ihren Charakter
als solche.

Die Architektur der Wand bleibe daher
Flächendekoration. Die vorspringenden Architekturteile
bleiben beschränkt auf diejenigen,
die durch die Konstruktion geboten sind, wie
Fensterstürze, Wasserspeier, Rinnen, einzelne
Gesimse u. s. w.

Die eigentliche Flächendekoration bilden die
Fenster, die natürlich nur dort anzubringen
sind, wo dieselben nötig, und alsdann in den
betreffenden verschiedenen Größen." l)

Man muß zugeben, daß in der zum Grundsatz
erhobenen Betonung des Flächencharakters
, dieser „Architektur der Mauer", eine
gewisse Einseitigkeit liegt (wie in jedem Prinzip
), die in ihrem ausgesprochenen Verzicht
auf vertikale Gliederung und in dem Ausschluß
jedes reliefierten Schmucks, soweit er
nicht Flachornament ist, leicht zur Manier
führen kann. Indessen ist die Manier eines
Künstlers noch kein Vorwurf; sie wird es
erst dann, wenn sie zum Manierismus degradiert
. Solange sie vollkommen dem Zwecke
dient und den Zusammenklang des Subjektiven
und Objektiven, die Grundbedingung
jedes Kunstwerks, nicht stört, solange bleibt
die Manier Kunstmittel.2) Den geborenen

*) Berlage, a. a. O. S. 52.

2) s. Meier-Gräfe, Corot und Courbet, Leipzig
1905. S. 69.

Künstler werden seine natürlichen Eigenschaften
vor dieser Gefahr bewahren, sie
kommt nur für die stets gewissenlosen Nachahmer
in Betracht. Was sich mit künstlerischem
Gefühl aus solchen Grundsätzen
bilden läßt, zeigt der Regierungsbaumeister
Jessen bei der neuen Haushaltungsschule in
der Kyffhäuserstraße, einem Erweiterungsbau
des Pestalozzi-Fröbelhauses. Die durchaus
den Flächencharakter wahrende Fassade erhält
ihre Gliederung durch die vorspringenden
Erker und durch den Rhythmus der weißen
Fugenlinien, die mit dem leuchtenden Rot
des Steines und der blauen Farbe der gestrichenen
Träger die einzige Dekoration bilden
. In diesem einfachen Bau, der bescheiden
und ohne Prätension inmitten protzen-
hafter Nachbarn meist unbeachtet bleibt, steckt
etwas Typisches, das für die Entwicklung der
modernen Architektur bedeutungsvoll ist.
Solche Grundsätze künstlerischen Schaffens
würden, auf das Miethaus angewendet, das
lebhaft diskutierte Problem seiner endgültigen
Lösung um ein beträchtliches Stück näher
rücken.

Durch die Verbindung mit dem Eisen fällt
dem Backstein als flächenbildendem Element
noch in anderer Beziehung eine wesentlich
neue Rolle zu: in der Fachwerkwand. Es
handelt sich dabei nicht um eine Ersetzung
des bisher das Ständerwerk bildenden Holzes
durch Eisen. Dieses tritt vielmehr infolge
rationellerer Anwendung zurück, nur noch
konstruktive Richtungslinien akzentuierend,
während der Backstein als Baumaterial entsprechend
größeren Anteil für den Gesamteindruck
gewinnt. Der Belgier Horta hat in
dieser Hinsicht interessante Versuche gemacht
. Es sei hier, um ein allgemein bekanntes
Beispiel zu nennen, auf die Maison
du Peuple in Brüssel hingewiesen, die indessen
auch nur „Versuch" geblieben ist.
Dagegen können die von Grenander bei den
Kassenhäuschen der Berliner Hochbahn erzielten
Resultate durchaus befriedigen.

Bisher wurde nur von der Anwendung des
Ziegels zusammen mit einem anderen Baustoff
gehandelt. Hierher gehören denn auch
die Versuche moderner Architekten, die in
seiner Verbindung mit dem Haustein neue
Lösungen erstrebten. Sie suchten dabei die
Farbe als künstlerischen Wert zur Wirkung
zu bringen und ersannen besondere Nuancen,
die, auf den Oberflächenton des Werksteins
abgestimmt, überaus feine Harmonien ergaben.
Es genügt, an Messels Simon-Haus in der
Matthäikirchstraße, an seine vorzügliche Landesversicherungsanstalt
am Märkischen Platz

Dekorative Kunst. XI. 9. Juni 1908.

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