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-^4sö> DIE AUSSTELLUNG ALS KÜNSTLERISCHES GANZES
RICHARD RIEMERSCHMID « DER PLATZ NEBEN DER FRÜHSTÜCKSHALLE; GEBÄUDE DER LEBENSMITTEL-ABTEILUNG
Hier kommt übrigens ein Ausstellungsproblem
zur Lösung, das künstlerisch tatsächlich
eines der schwierigsten ist, im täglichen
Leben der Großstadt wenigstens. Im
Vergnügungsteil geht's ohne Lärm nicht ab, —
auch hier sind allerlei bunte Farben dicht
nebeneinander, blaue und grüne und rote
Dächer und Wände. Aber, man hat den Farben
wohl erlaubt zu lärmen, jedoch verboten, zu
verletzen, und man hat das Nebeneinander
der marktschreierischen Farben so zu
ordnen gewußt, daß, wenn nicht von einer
Symphonie der Töne, so doch ganz gewiß nicht
von einer Kakophonie der Farben zu reden ist.
Der Nachweis solcher Möglichkeit wiegt
gar viel für Beurteiler von Kultur.
Das beweist dieser Teil wie der andere der
Ausstellung München 1908 klar und überzeugend
: Das Programm, durch Sachlichkeit
und Ehrlichkeit - nicht durch laute Mittel
der Sensation — zu wirken, war gut, und
es ist vortrefflich gelöst worden.
Mit Defizit wird diese Ausstellung entschieden
rechnen müssen: ihr Wert als neue Wegweiserin
wird von den allzu vielen „Köpenickern
", d. h. denen, die nur durch Lautes
und Buntes sich imponieren lassen, ganz und
gar nicht erkannt werden.
Wird das aber ein Nachteil sein?
*
Freilich die Unterordnung unter so großen
Willen bedeutet für den einzelnen mitwirkenden
Künstler, den Bildhauer und Maler ein
großes Opfer. Und nicht für alle Ausstellungen
einer und derselben Stadt möchte solch
herr?. hender Wille, der volle Unterordnung
der Persönlichkeiten fordert, ratsam sein.
Denn sonst würde der einzelne Künstler, dessen
Art sich ganz wesentlich unterscheidet von
der eines herrschenden Kreises, überhaupt
nicht zu Worte kommen können, — und die
Menge würde zu der historisch unhaltbaren
Meinung erzogen, daß der nicht hervorragend
ist, der eben durch andere Art, anderes
Schaffen auffällt.
Doch von solcher Gefahr sei nicht die Rede.
München hatte den Mut, mit einem alten
Ausstellungsschema zu brechen, und Traditionsbrechern
eine gewisse Einseitigkeit vorzuwerfen
, verbietet uns wiederum geschichtliche
Erfahrung. — Erst die Folger werden
milder und weitherziger.
Und „München 1908" als neuer Typus einer
Ausstellung wird viele Folger haben.
Wir werden Ausstellungen sehen, die uns
berühren wie schönste heimische oder fremde
Städte, die allmählich und von Haus zu
Haus, aus Zweckmäßigkeitsgedanken und jeweils
zeiteigenem Geschmack entstanden sind,
die wir aber rühmen, als wären sie geschaffen
aus einem einzigen künstlerischen Willen, wie
größte Bauschöpfungen der Fürsten oder der
Kirche, weil wir auch aus solchen Bildern
künstlerisch wertvolle Mittel zu heben wußten.
Als Vorbild all solcher Ausstellungen der Zukunft
aber wird zu denken sein an: „München
1908". e. w. Bredt
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