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FRITZ KLEE-MÜNCHEN FRIES AM HAUS DER SCHWABINGER SCHATTENSPIELE
WOHN- UND WIRTSCHAFTSBAUTEN AUF DER AUSSTELLUNG
MÜNCHEN 1908
Die kunstgewerbliche Revolution hat beim
Innenraum eingesetzt. Das macht sich
auf der Ausstellung draußen deutlich bemerkbar
, insofern als das Gebiet der Innendekoration
mit besonderer Liebe und besonderem
Erfolge bearbeitet worden ist. Erst vom Innenraum
aus wurde das Problem der baulichen
Gestaltung in Angriff genommen. Der Kunst-
gewerbler merkte sofort, daß sich gute Raumwirkungen
nur unter energischer, planmäßiger
Mithilfe des Baumeisters erzielen lassen, und
ward so vom Möbel zum Raum, vom Raum
zum Haus geführt. Während in allen früheren
Stilperioden das Kunstgewerbe an die Architektur
anknüpfte — bis zum Zopf und Empire
weisen sämtliche Möbel architektonische
Formen auf - - ist bei uns Heutigen die Architektur
vom Kunstgewerbe ins Schlepptau genommen
worden, eine Entwicklungsweise, die
Bedenken erregen mag, deren historische Richtigkeit
jedoch nicht bezweifelt werden kann.
Wenn unsere heutige künstlerische Theorie
mit allem Nachdruck das „Bauen von innen
heraus" verlangt, so entspricht diese Theorie
durchaus dem historischen Prozesse, der sich
hier abgespielt hat.
Was unsere Architektur auf diesem Wege
bis heute erreicht hat, ist wohl nicht mehr als
eine solide Grundlage für eine fruchtbare Weiterentwicklung
. Am reinsten tritt das architektonische
Können unserer Zeit an einfachen
Aufgaben hervor, an schlichten Zweckbauten,
die keine repräsentative Bedeutung haben. Hier
haben wir heute schon festen Boden unter den
Füßen. Einige Bauten des Vergnügungsparkes
der Ausstellung mögen als Illustration dieser
Sachlage dienen.
Im Anfange der kunstgewerblichen Revolution
zeigten die Ausstellungen nur Paradestücke
, die nur die künstlerisch-prinzipielle
Seite der neuen Ausdrucksweise zur Diskussion
stellten. Es war die Zeit der großen Worte und
der großen Gebärden; der Bestandteil „Zweck"
in dem Begriff „ Kunstgewerbe" ward nur wenig
beachtet. Es ist sicher, daß von einigen Männern
die kunstgewerbliche Produktion damals
geradezu als ein neues Mittel zur Darstellung
ihrer Psyche angesehen wurde, als ein Mittel
zur Selbstenthüllung. Nicht viel hätte gefehlt,
und man hätte die bekannte Definition der
Landschaft auf das Möbel übertragen: „Der
Stuhl ist ein Seelenzustand". Aber bald wurde
erkannt, daß der Diener nicht dadurch Ehre
erwirbt, wenn er das Dienen verschmäht; es
ward erkannt, daß die Ehre und der Ruhm des
Kunstgewerbes nicht in hohen Gebärden, sondern
in der gewissenhaften Erfüllung der Aufgaben
liegen, die ihnen das Leben stellt.
An solcher Bescheidenheit lassen es die erwähnten
Bauten nicht fehlen; sie spricht sich
schon in der Wahl der Aufgaben aus. Beschränkte
, begrenzte Bedürfnisse sind es, denen
Riemerschmids Arbeiterhäuser, Franz Zells
ländlicher Gasthof und das Streckenwärterhaus
von August Blössner dienen wollen. Zugleich
wird damit ein Hauptprogrammpunkt der
Ausstellung verwirklicht: zu zeigen, daß selbst
äußerste Begrenztheit der Mittel niemals ein
Hinderungsgrund für geschmackvolle Gestaltung
zu sein braucht. Ja, für die Hauptreize,
die man von einem Wohnbau erwartet, bildet
dasGeldüberhaupt keine Vergleichsgröße,denn
sie sind reine Angelegenheit der künstlerischen
Disposition. Es ist keine Frage, daß Riemerschmids
Arbeiterhäuser mit ihrer peniblen Sparsamkeit
an behaglicher, traulicher Wohnstim-
Dekorative Kunst. XI, n. August 1908.
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