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-*-4^> DIE AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908 <^-^
all diese Kargheit hindert nicht, daß diese
Schöpfungen die charakteristische Marke ihres
Urhebers, poetische Raumwirkung, deutlich erkennbar
an sich tragen. Das ist die elementare
künstlerische Funktion: die Notwendigkeit zur
Freiheit erheben, den Stoff überwinden und
ihm seine Schwere nehmen, aus dem hetero-
nomen Zweck autonome Poesie machen.
Bei Riemerschmid sind es außer der ursprünglichen
künstlerischen Anlage Liebe und
Interesse, die dieses Wunder wirken. Keiner
seiner Stühle, kein Quadratzentimeter seiner
Teppiche läßt diese wohltuende innere Wärme
vermissen. Wärme des Gemütes, in Arbeit
umgesetzt, das macht den Reiz seiner Schöpfungen
aus.
Seine Frühstückshalle, ein wesentlicher
Bestandteil der reizenden, intimen Platzgestaltung
, die Riemerschmid zwischen Halle III
und II geschaffen hat, bildet ein einfaches,
regelmäßiges Sechseck mit laternenartiger Erhöhung
des Daches. Es ist erstaunlich, was
august blössn er-münch en
diese einfache Disposition für Leben in die
äußere und innere Erscheinung des kleinen
Bauwerkes bringt. Unter anderem wird dadurch
innen der Platz geschaffen für den launigen
bunten Fries von Paul Neu, der seinerseits
die polygonale Gebrochenheit der Malfläche
außerordentlich geschickt ausgenützt hat.
Viel architektonische Erfindung hat auch
O. Orlando Kurz in seinem Kinematogra-
phentheater an den Tag gelegt. Auch hier ist
es ein ausgesprochen malerischer Geist, das
heißt das Streben nach amüsanten Raum- und
Schattenwirkungen, der das Ganze beherrscht.
Neben seiner Frühstückshalle, von der wir
hier einige Abbildungen bringen, kann Peter
Danzers Ceylonteestube als eine der hervorragendsten
Raumschöpfungen der Ausstellung
gelten. Etwas Behaglicheres als die große
Teestube läßt sich kaum denken; sie kommt
in dieser Eigenschaft fast einer Schiffskajüte
nahe. Was bringt das einfache Motiv der gedeckten
Veranda innen und außen an räumlicher
Schönheit hervor! Wie
reizvoll nimmt sich die gedeckte
Seitenlaube aus, wie
niedlich, ja spielzeughaft
niedlich ist der Vorgarten
ausgestaltet! Man darf der
ganzenSchöpfungdas Ehrenprädikat
einer erstklassigen
Architekturdichtung geben.
Bleibt noch die große Bierwirtschaft
zu erwähnen, in
mächtigen hölzernen Spitzbogen
angelegt, die, als sie
noch nackt dastanden, lange
Zeit eine wirkliche Zierde
des sonst so wüsten Ausstellungsterrains
bildeten.
Künstlerisch sind an ihr die
Architekten Franz Zell,
Otto Dietrich, O. Orlando
Kurz beteiligt. Man kann
sie wohl als gute, nicht aber
als mustergültige Architekturleistung
bezeichnen. Der
große Saal wirkt etwas wüst
und unartikuliert. In der dekorativen
Ausstattung der
Wände waltete kein sehr
glücklicher Geschmack, wenigstens
soweit die untere
Partie in Betracht kommt.
Die einfache weißblaue
Streifung des „Gewölbekerns
" wirkt dagegen gut,
übersichtlich undgroßzügig.
streckenwärterhaus Wilhelm Michel
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