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-s>-5^> DIE STUTTGARTER STUDENTENKUNST-AUSSTELLUNG <^3^
Umwandlung der „Cerevise", die bisher mit
ihren erstarrten Wein- und Eichenlaubornamenten
noch immer der Zeit der ersten Londoner
Weltausstellung anzugehören schienen. Ohne
die gegebene Grundform anzutasten, wurde
nun zum erstenmal eine freiere Stilisierung
und die Einführung neuer Motive, natürlich
in den gegebenen Couleurfarben, mit Erfolg
versucht. Ob sich unsere Studentenschaft
entschließen wird, noch einen Schritt weiter
zu gehen und statt des Trikolorebandes den
auch auf der Ausstellung aufgetauchten Vorschlag
zu akzeptieren, mit den drei Grundfarben
freie Ornamentbildungen zu verbinden,
mag dahingestellt bleiben.
Die Leder-Gruppe war überaus reich beschickt
und brachte manche Verbesserung in
der Stilisierung und Anbringung der Wappen
auf Albumdeckeln, Brief-und Zigarrentaschen,
Geldbörsen usw. Weitaus am wichtigsten
sind jedoch die neuartigen, trefflich gelungenen
Kommersbucheinbände mit den historisch
gewordenen „Biernägeln", die verschiedene
neue dekorative Verarbeitungen zulassen. Noch
hoffnungsvoller sind die Reformvorschläge für
die verschiedensten Arten der graphischen
Arbeiten, von der Couleurpostkarte und dem
schlichten Liedertext angefangen bis zur studentischen
Ehrenurkunde oder zum Mensuralbum
. Sowohl mit den einfachen Buchdruckarbeiten
, die eine durchwegs gefällige Wahl
der Type und Verteilung des Schriftsatzes
aufweisen, bis zu den kostbarsten Pergamentmalereien
konnte man hier zahlreiche neue
Anregungen finden.
Am wenigsten hat sich bei dieser Ausstellung
die keramische und Glasindustrie ausgezeichnet
; nur einige Einzel-Beispiele zeigen
auch hier, daß man auch aus den Banden der
bisherigen, konstruktiv und dekorativ so selten
gelungenen Trinkgefäße Befreiung sucht. Derartige
Einzelfragen einer guten Lösung zuzuführen
, bleibt somit noch der Zukunft vorbehalten
.
Zum Glück ist aber auch die Möglichkeit
gegeben, die Aktion nicht einschlafen zu lassen,
da noch beträchtliche Beträge zur Fortsetzung
des Studentenkunst-Preisausschreibens übrig
geblieben sind, obwohl diejury mit den Preisen
nicht gekargt hat. Es wird sich natürlich
nicht mehr um so allgemein gestellte Fragen
handeln, sondern um Einzel-Aufgaben, gerade
auf Grund der eben gewonnenen Erfahrungen
, eventuell um das Aufwerfen einer
neuen, engverwandten Frage.
So wäre z. B. ein besonders dankbares
Preisausschreiben ohne Zweifel die Aufgabe:
der Humor im Kunstgewerbe. Gerade
die Studentenkunst-Ausstellung hätte in dieser
Beziehung sehrviel bieten können, kam jedoch
leider kaum über die ersten Ansätze hinaus.
Und doch brauchen es keineswegs nur improvisierte
Kneipzeitungen und hingeworfene
Gelegenheitsblätter zu sein, welche wirklichen
gesunden Humor atmen, sondern auch treffliche
Werke, besonders figurale Klein-Plastik,
Dekorative Kunst. XI. n. August 1908.
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