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MAX KLINGER
EIN RÜCKBLICK UND EIN AUSBLICK
Von Julius Vogel
II. (Schluß)
Wir wissen, daß die graphischen Arbeiten
ehedem den eigentlichen Inhalt von Klingers
Kunst bezeichneten. Ausgehend von dem
Grundsatz „zu empfinden, was er sieht, zu
geben, was er empfindet, macht das Leben
des Künstlers aus" und unter dem Druck
seiner persönlichen, von einem guten Teil
von Pessimismus durchtränkten Lebensphilosophie
, die er in den Satz zusammenfaßte:
„Aus den ungeheuren Kontrasten zwischen
der gesuchten,gesehenen, empfundenen Schönheit
und der Furchtbarkeit des Daseins, die
schreiend oft ihm begegnet, müssen Bilder
entstehen, wie sie dem Dichter, dem Musiker
aus der lebendigen Empfindung entspringen"
— unter dem Druck dieser Ueberzeugung
war ihm die Zeichnung ehedem das große
Mittel sein Inneres zu entlasten, die Bitternisse
des Lebens, die sich ihm entgegendrängten,
sich von der Seele zu zeichnen. Die Leidenschaftlichkeit
seiner Natur drängte ihn zu
Werken, die wie bei Goethe zu Bruchstücken
einer großen Konfession sich gestalten. In
diesem Sinne sind die meisten seiner radierten
Zyklen zu verstehen. Aber diese Bekenntnisse
aus den trüben Seiten
des Lebens, die dem
früher einsam Dahinlebenden
oft schwere
Stunden gebracht und
ihn bei seiner grüblerischen
Natur zu pessimistischen
Betrachtungen
neigen ließen,
bezeichnen doch glücklicherweise
nur eine
Episode, die, so reich
sie an künstlerischen
Erfolgen war, an dem
Künstler seit Jahren
schon vorüber gegangen
ist. Von den Gefühlen
stummer Resignation
hat er sich losgerungen
, die „prachtvolle
großschreitende
Welt", in der er früher
„den ganzen Jammer
derlächerlichen Kleinheit
des kläglichen Geschöpfes
" sah, hat bei
dem ewigen Kampfe
G. SCHADOW V53 GRABMAL DES STAATSMINISTERS
GRAFEN VON ARNIM AUF SCHLOSS BOITZENBURG
zwischen Wollen und Können ihn einerheiteren
Auffassung des Lebens zugewendet. Früher sah
er in der Zeichnung eine die Malerei und
Skulptur ergänzende Kunst und sie war für
ihn das Mittel zur Erreichung seiner künstlerischen
Ideale, jetzt istfürihndieSkulpturdas
Element geworden, in dem seine Gedankenwelt
ihren reinsten und schönsten Ausdruck
findet. In der plastischen Formgebung sieht
er die Hauptaufgabe der Kunst, die Darstellung
der Schönheit des menschlichen Körpers. Es
ist deshalb nicht Zufall oder Mangel an Zeit,
wenn der zweite Teil des Zyklus „Vom Tode",
vor viel länger als zwanzig Jahren begonnen,
so langsam seiner Vollendung entgegenrückt,
trotzdem die fehlenden Blätter längst in der
Zeichnung oder in der Kupferplatte vorbereitet
sind. Wie sich allmählich dieser Wandel vollzogen
hat, ließe sich an einer Reihe von Skulpturen
leicht verfolgen. Aus der Idee seiner
Raumkunst hatte sich seine farbige Skulptur
entwickelt, von der er einst meinte, daß wir
ihr „so merkwürdig zaudernd gegenüberstehen
". Der Beethoven, im Modell wesentlich
gleichzeitig mit der Salome und Kassandra
entstanden, in der polylithen Ausführung das
Produkt des neuen Jahrhunderts, schließt die
Reihe der farbigen Skulpturen ab. Die geheimnisvolle
Macht des Marmors, die Lust,
seine schlummernde Seele zu wecken, hatte
es Klinger schon vorher angetan. Wie einst
Michelangelo gesagt
hatte: „Ich versichere
Euch, es gibt nicht
einen einzigen Marmorblock
, indemnicht
irgendein Bild oder
eine Statue drinsteckt,
es kommt nur darauf
an, sie deutlich zu erkennen
", so ist auch
eine ganze Reihe Klin-
gerscher Skulpturen
vermöge diesesseheri-
schen Blickes entstanden
. Beinahe alleseine
Marmorwerke sind in
diesem Sinne zu verstehen
.
Die Zahl der Bildhauerwerke
Klingers,
die entstanden sind,
seitdem der Beethoven
die Werkstatt des
Meisters verlassen hat
(März 1902), ist ziemlich
groß. Manche dieser
Arbeiten gehen im
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