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DIE II. GRAPHISCHE AUSSTELLUNG DES DEUTSCHEN KÜNSTLERBUNDES
DIE II. GRAPHISCHE AUSSTELLUNG
DES DEUTSCHEN KÜNSTLERBUNDES IN
DRESDEN
"Pvie zweite Graphische Ausstellung des Deut-
sehen Künstlerbundes, die am 1. Mai eröffnet
wurde, nimmt sämtliche Räume der Galerie Arnold
in Dresden ein und umfaßt nicht weniger als
etwa 1000 Blatt, die von rund 200 Künstlern herrühren
. Im Gegensatz zu der ersten Ausstellung
gleicher Art in Leipzig 1907 überwiegen diesmal die
kleinen Blätter, es ist daher nicht ganz leicht, eine
Gesamtübersicht über die Fülle des Gebotenen zu
gewinnen. Indes ist die Ausstellung innerhalb der
GrenzendesMöglichen mitGeschmack und Geschick
angeordnet, so daß es ein Vergnügen ist, sich allmählich
in ihr heimisch zu machen. Eine bestimmte
Zeitgrenze ist offenbar nicht maßgebend gewesen,
denn wir finden von einzelnen Künstlern wie Stuck,
Klinger,Kalckreuth, Böhle, Greiner, Thoma,
Schmutzer zum Teil alte und längst bekannte
Werke vor. Sehen wir davon ab, so ergibt sich für
die gegenwärtige graphische Kunst ein ansehnlicher
Hochstand, wenn man den >Amorphismus<, d. i. die
Abkehr von der strengen einläßlichen Form, die
Skizzenhaftigkeit und eine weitgehende Betonung
der Individualität als gegebene Tatsachen hinnimmt.
Denn so einläßliche Zeichnung und Durchbildung,
wie sie etwa Richard Müllers Studienkopf und
Fischgräte oder Georg Jahns große Bildnisse aufweisen
, sind in dieser Ausstellung durchaus vereinzelte
Erscheinungen. Das hervorstechendste Neue,
was sie bietet, sind wohldie Illustrationen zu Coopers
Lederstrumpf von Max Slevogt, zehn Probedrucke
alfred offner kinderbildnis
Frühjahr-Ausstellung der Wiener Secession
zu einem neuen Lithographiewerk, Meisterwerke
kühn skizzierender Wiedergabe lebhaftester Bewegungen
und leidenschaftlichen Lebens, wohl geeignet,
unsere Phantasie zum Mitschwingen anzuregen.
Max Liebermann schildert mit nicht geringerer
Suggestionskraft in flüchtigen Strichen das lebendige
Getriebe im Amsterdamer Judenviertel: man meint
die Hunderte durcheinanderkribbeln zu sehen, so
stark ist die Suggestion des Masseneindrucks. In
seinen landschaftlichen Zeichnungen geht Liebermann
mehr auf weiche malerische Wirkungen mit
Licht und Schatten aus.
Unter Lovis Corinths Zeichnungen fällt neben
derb lebenswahren Akten die wahrhaft meisterhafte
Wiedergabe einer Eichenallee auf, die in ihrer innerlichen
Wahrheit zu den besten Landschaften der
ganzen Ausstellung gehört. Mehr werdende Talente
sind demgegenüber Willi Geiger und Adolf
Schinnerer, die nebst Paul Baum die Villa-Romana
-Preise erhalten haben. Geigers Versailles und
Damenbildnis und seine phantasiereichen Radierungen
, die Verwandlungen der Venus nach Dehmels
Dichtung, sind nicht ganz gleichwertig, wirklich
ausgezeichnet aber sind die knapp zusammenfassenden
Szenen aus den spanischen Stierkämpfen.
Schinnerer schildert mit naiver biedermännischer
Treuherzigkeit in 16 Blättern die Geschichte des
Tobias und in einer ähnlichen Folge die Schicksale
Simsons im Gewände neuerer Zeit; einzelne
Blätter, wie das Zerbrechen der Säulen, die den
Saal der Philister tragen, sind in ihrer dramatischen
Kraft verheißungsvoll. Paul Baum hat namentlich
einige seiner großen Zeichnungen und Radierungen
geschickt, die mit feinen nervösen Strichen Baumgärten
im Frühling u. ä. darstellen.
Weiter sehen wir von Otto Greiner
die bekannte Hexenschule mit den zugehörigen
mit schärfster Sicherheit gezeichneten
Studien aus dem Besitz von R. Pichler
, von Max Klinger das intime Bildnis
seiner alten Mutter und einen wundervollen
weiblichen Kopf, von Ludwig von
Hofmann einige leichte Skizzen seiner
bekannten Art, von Böhle die kraftvollen
Bauernschilderungen und eine Illustration
zu Sebastian Brants Narrenschiff, von
Schmutzer außer Bekanntem eine große
eindrucksvolle Anatomie — Prof. Chro-
back mit seinen Assistenten — und eine
auch malerisch sehr wirksame Klostersuppe
, von Hans Thoma Landschaften
mit weitem Blick aus dem Schwarzwald
und aus Italien, vom Grafen Kalckreuth
einige einläßlich charakterisierte Bildnisse,
von Carlos Grethe lebensvolle Schilderungen
aus dem Hamburger Hafen und
vom Fischerleben auf offener See, von
Emil Orlik teils japanische, teils japani-
sierende Schilderungen, sowie ein paar
treffliche schlichte Bildnisse, von Heinrich
Vogeler eine Reihe ansprechender
feiner Exlibris, von Franz von Stuck
außer einigen vorzüglichen Aktstudien nur
die längst bekannten Blätter Lucifer, Sinnlichkeit
, kämpfende Faune u. a. Der
Dresdner Robert Sterl ist mit interessanten
Impressionen aus dem Leben der
Arbeiter und Zeichnungen aus dem musikalischen
Leben vertreten. Wilhelm Claudius
führt eine große Zeichnung (Baßgeiger
) vor.
Teils mehr, teils weniger gelungen sind
Joseph Uhls phantastisch - karikierende
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