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DIE KÖNIGLICHE PORZELLAN-MANUFAKTUR NYMPHENBURG
Unser Kunstgewerbe tritt bekanntlich mit
autokratischen Ansprüchen auf. Das heißt:
unsere neue kunstgewerbliche Ausdrucksweise
betrachten wir nicht bloß als eine Möglichkeit
neben so und so vielen anderen, sondern
als eine Notwendigkeit, die das liberum ar-
bitrium indifferentiae ausschließt. Uns bedeutet
„Kunstgewerbe" keinen Blankobegriff,
sondern eine ganz bestimmte, genau zu kennzeichnende
Art der gewerblichen Formgebung.
Es ist ein kulturelles Sollen, keine Willkür,
was diese Formgebung bestimmt, eine Formgebung
, neben der es für eine andere keinen
Raum gibt. Welch ein Abstand von dem kunstgewerblichen
Schaffen der unmittelbar vorangehenden
Jahrzehnte! Da herrschte die
Historie, und im Gefühl ihrer eigenen Ohnmacht
blieb der neuen Zeit nichts übrig, als
sich vor der gewichtig auftretenden Historie
zu bücken. Diese „neue Zeit" schaltete
zwischen sich und die ewige Pflicht der künstlerischen
Selbstausprägung die historische
„Stilart" als Mittler ein. Sie verkappte und
vermummte sich in der historischen Kapuze,
weil sie ihr Gesicht nicht zu zeigen wagte,
ja vielleicht, weil sie zweifelte, ob sie ein
Gesicht überhaupt besitze.
Wir wissen das alle, weil es die Grundtatsache
ist, gegen die wir uns, kunstgewerblich
schaffend und protestierend, gewandt
haben. Aber kleine und große Ereignisse
rufen es uns immer wieder so deutlich in
Erinnerung, daß wir das oft Gesagte zuzeiten
gern wiederholen.
Ich sehe da unter den altbewährten Mustern
der Kgl. Porzellanmanufaktur Nymphenburg,
Mustern, die in manchen Fällen das ehrwürdige
Alter von hundert Jahren und mehr
aufzuweisen haben, unvermittelt Schöpfungen
unserer Zeit. Das ist nicht nur ein geschäftliches
Ereignis, es ist ein kulturelles Ereignis,
das mich mit Stolz und Genugtuung erfüllt.
Warum? Das ganze neunzehnte Jahrhundert
fast hat diesem Produktionszweige keine neuen
Formen liefern können; wir sind die Ersten,
die es wagen, mit gebotener Bescheidenheit
unsere Muster neben die alten zu stellen.
Daß uns dieses Wagnis, das frühere Zeiten
als eine Selbstverständlichkeit betrachtet haben,
als Wagnis bewußt wird, das ist noch ein
letztes Erbe von der Epoche des Verzichtes
und der Historie. Daß es gewagt wird, ist
aber eine glänzende Legitimation der Gegenwart
und eine Bürgschaft für die Zukunft.
Nicht tief genug können wir uns sättigen mit
dem Bewußtsein, daß in solchen Taten, einerlei
ob die konkrete Leistung immer unserem Geschmack
entspricht oder nicht, eine Mündigkeitserklärung
unserer Epoche liegt, eine Mündigkeitserklärungaus
eigenem Recht. Und darin
liegt auch — in Parenthese sei es bemerkt
— die Rechtfertigung des füglich allgemein
verabscheuten Jugendstiles, daß er der kunstgewerblichen
Frage zum ersten Male ohne
historische Bedenklichkeiten zuleibe ging.
Er hat Schaufenster, Magazine und Kunstzeitschriften
mit nichtswürdigen Mustern angefüllt
, das ist wahr. Aber er hatte Mut und
Keckheit im Leibe und blies zu allererst die
stolze Fanfare: Wir sind konkurrenzfähig
mit der Historie, wir wollen mitreden im
Rate der Zeitalter, wir haben ein gültiges
Wort neben und vor der Tradition zu sagen!
* *
Seit Jahren schon hat der kunstgewerbliche
Frühling belebend auf die Produktion unserer
alten, stolzen Porzellanwerkstätten in Nymphenburg
eingewirkt. Den deutlichen Ausdruck
findet diese Einwirkung nun in der
Eröffnung der neuen Verkaufsräume, welche
die Manufaktur in München (Ecke der Brienner-
straße am Odeonsplatz) eingerichtet hat. Licht,
freundlich und vornehm ist der Eindruck
dieser Räume, einer Schöpfung Emanuel von
Seidls. Das Hauptmerkmal bilden, dem Zweck
der Räume entsprechend, die hohen Vitrinen
, die mit ihren blinkenden Scheiben,
ihrem weißen und farbigen Inhalt und den
rötlichen Tönen des Holzes einen brillanten
Effekt machen. Ein massiger Pfeiler, als
Stütze eines Rundbogens mitten ins Lokal
gestellt, trägt sehr viel zur Belebung des
Raumeindruckes bei. Das Ganze entspricht
dem aristokratischen Gepräge, dem Luxuscharakter
der hier beheimateten Industrie so
sehr, daß es wohl als eine ideale, wenn auch
in den Mitteln bescheidene Lösung angesprochen
werden kann.
Nun die neuen künstlerischen Mitarbeiter
des alten Unternehmens:
An der Spitze stehen zweifellos Josef
Wackerle, Adalbert Niemeyer und Rudolf
Sieck, der aus dem „Simplicissimus" bekannte
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