http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_22_1910/0062
WIRTSCHAFT UND KUNST
Belesenheit des Verfassers wollen aber diese
zahllosen Werksteine sich am Ende doch
nicht zu einem festen, Schutz und Fernblick
gewährenden Bau fügen. Denn was ist es
schließlich um jenen „bewußten Willen zur
Kunst", der allein auf höherer Entwicklungsstufe
die Schwierigkeiten zu überwinden vermag
, die Technik und Wirtschaft ihrem Gedeihen
entgegenstellen ? So oft wir vermeinen,
ihn in einer deutlichen Erscheinungsform
zu fassen, scheint er uns wieder unter den
Händen zu zerfließen. Wohl spüren wir sein
Walten auch heute noch, aber alle Werkzeuge
der Rassenpsychologie vermögen ihn nicht
dem Dunkel seiner geheimnisvollen Urheimat
zu entringen. Und darum scheint mir auch
die Frage unlösbar, die Wäntig an den Schluß
seiner Betrachtung stellt, die Frage, ob wir
ein Recht haben, uns ein Kulturvolk im höchsten
Sinne des Wortes zu nennen. Denn eine
materialistische Ebenenkultur ohne Höhen und
Tiefen, wie Sombart es nennt, eine sensua-
listisch - intellektuelle Tageskultur ohne die
Heimlichkeiten der Dämmerung, ohne die
Majestät der Nacht, darf nun und nimmer die
Frucht unserer Kämpfe werden. Jene Gefahr
zu bannen, bedarf es nicht nur fleißiger und
kräftiger Hände, sondern auch klarer Köpfe
und mutiger, freudiger Herzen. Es wäre undankbar
, wollten wir Wäntigs Werk nicht das
gewiß nicht geringe Verdienst zusprechen, über
die Wege und Irrwege eines Jahrhunderts bewegtester
kunstgewerblicher Produktion Klarheit
gegossen zu haben. Sein Buch ist die
Frucht weitgespannter Forschung und eines, ich
möchte sagen ethischen Taktes, dem wohl niemand
seine Sympathien versagen wird. In dem
Kampfe des Künstlers mit dem Kapitalismus,
mit dem Käufer und mit der Technik wird es
ehrliche und treue Dienste tun. e. Haenel
emil meier-wien
winter
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