Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 24. Band.1911
Seite: 50
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ERNST AUFSEESER-MÜNCHEN

FLOR-STICKEREIEN

FLOR-STICKEREIEN VON ERNST AUFSEESER

aum in irgend einem anderen
Gebiet des Kunstgewerbes
drängen sich so
viele Neuerer und Neuererideen
, wie in dem Bezirk
, wo die Stickrahmen
stehen. Nachdem es eine
ganze Weile schien, als ob
auch hier die gedanken-
und phantasielose Maschine
über das Ingenium des menschlichen
Hirns, der menschlichen Hand triumphieren
wollte, regt sich plötzlich wieder alte Tradition
und alte Freude an der Geschicklichkeit der
arbeitenden Hand. Kunterbunt, wie's immer
geht, wenn aus den Ueberresten der Vergangenheit
etwas Neues geschaffen werden soll, sind
in den letzten Jahrzehnten alle möglichen Techniken
der Stickerei an uns vorübergezogen.
Dem Kreuzstichtaumel imitierter Renaissance
folgte, wie in andern Kunstprovinzen, fröhliche
Begeisterung für den Realismus, der die Natur
so gut oder so schlecht wie möglich abschrieb,
bis er schließlich, seiner selbst müde, sich
wiederum im Ornamentalen verlieren wollte.
Das Ornament ist ja in gewissem Sinn die
künstlerische Signatur unserer Zeit; das Lebende
der lebendigen Linie zu entkleiden und es zum
Ornament zu stilisieren, schien eine Zeitlang
der Sehnsuchtstraum jedes Kunstgewerblers und
jeder Kunstgewerblerin. Unleugbar liegt in
dieser ornamentalen Technik ein großer Reiz
und in dem Bestreben, dem sie entsprungen
ist, eine ernste, künstlerische Absicht, die den

Kitsch so viel wie möglich aus der Welt oder
wenigstens aus dem Kunstgewerbe hinaustreiben
will. Aber schließlich ist der höchste Triumph
des Lebens doch immer das Leben selbst, und
in dieser Erkenntnis treten neben die Fanatiker
des Ornaments immer wieder neue Persönlichkeiten
zum Stickrahmen hin und versuchen, die
Ideen zu verwirklichen, die ihrem Künstlerkopf
einfallen.

Zu dieser jungen Generation, die mit merkwürdigem
Geschick der Handstickerei neue
Wege erschließen will, gehört Ernst Auf-
seeser, der mit seiner Flortechnik sowie mit
den originellen Zeichnungen, die er ihr zugrunde
legt, Resultate von ungewöhnlichem Reiz erzielt.
Das Material, mit dem er arbeiten läßt (denn
die ausführende Hand, die wirkliche Stickerin ist
die Gattin des Künstlers), ist so einfach wie möglich
, besteht nur in feinstem, weißem Mull und
weißem Garn mit Seidenglanz. Eine Weiß-in-
Weiß-Technik also, wie wir sie früher bei den
schönen, alten Guipür- und Leinenstickereien
schon gesehen haben? Ja und nein. Denn
diese neuen Stickereien haben mit den früheren
nur die Farbe oder, wenn man will, die Farb-
losigkeit gemein, sind dagegen in der Ausführung
von ihnen völlig verschieden. Der
Mull wird nämlich mit dem Glanzgarn nicht
etwa bestickt sondern gleichsam hinter stickt,
indem die Fäden so fein über den Stoff gespannt
und angestochen werden, daß die haarfeinen
Stichnarben auf der Rückseite (die in
diesem Fall als Vorderseite betrachtet wird)
die Konturen des Musters ergeben, so daß die

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